- Gesetz:
- § 146b AO
- Problemstellung:
-
Welche Besonderheiten sind bei der Kassennachschau zu beachten?
Weiteres Prüfinstrument der Finanzverwaltung
Der Gesetzgeber hat mit der Kassennachschau (§ 146b AO) eine neue Prüfungsmöglichkeit für die Finanzverwaltung geschaffen1.
Praxishinweis
Die Möglichkeit einer Kassennachschau besteht bereits seit dem 1.1.2018.
Verwaltung nimmt Stellung zur Kassennachschau
Mit Wirkung zum 29.5.20182 wurde der AEAO um die Regelung zu § 146b AO ergänzt. Nachfolgend werden die Auswirkungen des AEAO für die tägliche Praxis dargestellt sowie Hilfestellungen zum praktischen Umgang mit einer Kassennachschau gegeben.
Flankierend dazu wurde am 19.6.2018 außerdem der AEAO zu § 146 und damit zur Frage der Einzelaufzeichnungspflicht ebenfalls angepasst, was im Anschluss an das Thema Kassennachschau dargestellt wird.
Zu prüfende Kassensysteme
Weiterer Anwendungsbereich der zu prüfenden Systeme
Der AEAO fasst den Anwendungsbereich der Kassennachschau sehr weit. Der Kassennachschau unterliegen danach elektronische oder computergestützte Kassensysteme oder Registrierkassen, App-Systeme, Waagen mit Registrierkassenfunktion, Taxameter, Wegstreckenzähler, Geldspielgeräte und offene Ladenkassen3.
Kassensturzfähigkeit
Fehlgeschlagener Kassensturz = schwerer formeller Mangel
Die Kassensturzfähigkeit ist wahrscheinlich der wichtigste Problembereich bei einer Kassennachschau, denn es gilt: Jede Kasse muss stets (wobei stets bedeutet zu Beginn und zum Ende eines Geschäftstages) kassensturzfähig sein. Dies bedeutet, dass Soll- und Istbestand der Kasse übereinstimmen müssen. I. d. Regel wird es daher unumgänglich sein, die Kasse mindestens einmal täglich physisch auszuzählen. Lässt sich bei einer Kasse kein Kassensturz durchführen oder schlägt er fehl, so liegt ein schwerer formeller Mangel vor4. Schwere formelle Mängel berechtigen dem Grunde nach zu einer Hinzuschätzung, wenn der Prüfer Zweifel an der materiellen Richtigkeit des Ergebnisses wecken kann - was leider die Regel sein dürfte. Besonders dramatisch: Ein fehlgeschlagener Kassensturz wirkt sogar auf vergangene Jahre zurück5.
Durchführung eines Kassensturzes ist eine Ermessens-entscheidung
Der Amtsträger kann zur Prüfung der ordnungsgemäßen Kassenaufzeichnungen im Rahmen der Kassennachschau einen sog. Kassensturz verlangen6.
Praxishinweise
Prüfung in Geschäftszeiten nicht immer zulässig
Praktiker Weg: Fester Wechselgeldbestand
Rechte und Pflichten des Amtsträgers
Unangekündigtes Betretungsrecht der Geschäftsräume
Im Rahmen der Kassennachschau dürfen Amtsträger während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten Geschäftsgrundstücke oder Geschäftsräume von Steuerpflichtigen unangekündigt betreten (§ 146b Abs. 1 Satz 1 AO). Der Anwendungserlass dehnt diese Befugnis auch auf Fahrzeuge aus, die vom Unternehmer beruflich genutzt werden10. Ein Durchsuchungsrecht gewährt die Kassennachschau nicht11. Zu Dokumentationszwecken ist der Amtsträger berechtigt, Unterlagen und Belege zu scannen oder zu fotografieren12.
Praxishinweis
Wohnräume dürfen im Rahmen der Kassennachschau grundsätzlich nicht betreten werden. Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn der Mandant zustimmt oder das Betreten zur Verhinderung einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist (§ 146b Abs. 1 Satz 3 AO).
Kassennachschau außerhalb der Geschäftszeiten?
Nach Auffassung der Verwaltung kann die Kassennachschau auch außerhalb der Geschäftszeiten vorgenommen werden, wenn im Unternehmen noch oder schon gearbeitet wird13.
Praxishinweise
Mitwirkung Dritter?
Ist der Unternehmer selbst oder sein gesetzlicher Vertreter (§ 34 AO) nicht anwesend, aber Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie über alle wesentlichen Zugriffs- und Benutzungsrechte des Kassensystems des Steuerpflichtigen verfügen, hat der Amtsträger sich gegenüber diesen Personen auszuweisen und sie zur Mitwirkung bei der Kassennachschau aufzufordern. Diese Personen haben dann die Pflichten des Unternehmers zu erfüllen, soweit sie hierzu rechtlich und tatsächlich in der Lage sind14.
Praxishinweise
Rechten und Pflichten des Unternehmers
Aufforderung zur Duldung einer Kassennachschau ist ein Verwaltungsakt
Nachdem der Amtsträger sich ausgewiesen hat, ist der Unternehmer zur Mitwirkung im Rahmen der Kassennachschau verpflichtet. Die Aufforderung zur Duldung der Kassennachschau ist ein Verwaltungsakt, der formlos erlassen werden kann (z. B. mündlich mit Vorzeigen des Ausweises)15.
Der Unternehmer hat auf Verlangen des Amtsträgers für einen vom Amtsträger bestimmten Zeitraum Einsichtnahme in seine (digitalen) Kassenaufzeichnungen und -buchungen sowie die sonstigen Organisationsunterlagen zu gewähren16. Der Amtsträger kann in diesen Fällen auch schon vor dem 1.1.2020 verlangen, dass die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden17.
Praxishinweise
Übergang zur Außenprüfung
Übergang zur AP möglich ohne vorherige PA
Sofern ein Anlass (aber auch nur dann) zu Beanstandungen der Kassenaufzeichnungen, -buchungen oder nach dem 31.12.2019 der zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung besteht, kann der Amtsträger gem. § 146b Abs. 3 AO ohne vorherige Prüfungsanordnung zur Außenprüfung übergehen. Die Entscheidung zum Übergang zu einer Außenprüfung ist eine Ermessensentscheidung20.
Dokumentationsunterlagen sind vorzulegen
Anlass zur Beanstandung kann nach Auffassung der Verwaltung beispielsweise auch bestehen, wenn Dokumentationsunterlagen wie die aufbewahrungspflichtige Betriebsanleitung oder Protokolle nachträglicher Programmänderungen nicht vorgelegt werden können21.
Nach dem Übergang zu einer Außenprüfung gelten die allgemeinen Grundsätze, was insbesondere bedeutet, dass die Prüfung nun einen größeren Zeitraum umfassen darf und dass der Prüfer nun auch Angaben außerhalb der Kassenbuchführung (z. B. Betriebsausgaben) prüfen darf.
Praxishinweise
Abschlussbemerkung zur Kassennachschau
Hohe Anforderungen an die Unternehmen
Die Anforderungen durch die Kassennachschau an die Unternehmen sind nicht unbeachtlich. Insbesondere sollten die Mandanten über die Befugnisse des Amtsträgers aufgeklärt werden. Es ist ratsam, dass sich bargeldintensive Unternehmen insofern auf eine eventuelle Kassennachschau vorbereiten, dass die vorlagepflichtigen Unterlagen bereits im Vorfeld eruiert und gesammelt abgelegt werden, damit sie im Fall der Fälle schnell auffindbar sind.
Sperrwirkung für Selbstanzeige
Außerdem sei noch darauf hingewiesen, dass es sich bei der Kassennachschau um einen Sperrgrund für die Selsbtanzeige handelt (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe e AO), d. h. wenn der Amtsträger zur Kassennachschau erschienen ist, ist eine Selbstanzeige nicht mehr mit strafbefreiender Wirkung möglich; dies zumindest so lange, bis die Nachschau abgeschlossen ist.
Gegenwärtig ungeklärte Auswirkungen
Durch die Rechtsprechung ist bislang jedoch noch nicht geklärt, wie weit der Sperrgrund reicht. Fragestellungen in diesem Zusammenhang sind:
Verwaltungsauffassung zur Einzelaufzeichnungspflicht
Grundsätze zu den Einzelaufzeichnungen
Zur Kassenbuchführung gehört Einzelaufzeichnung
Nur der ordnungsmäßigen Buchführung kommt Beweiskraft zu (§ 158 AO). Verstöße gegen die Vorschriften können z. B. eine Schätzung nach § 162 AO zur Folge haben. Hierbei sind vor allem auch die sog. Einzelaufzeichnungen (Aufzeichnung über jeden einzelnen Geschäftsvorfall in den Kassenaufzeichnungen) von Bedeutung.
Praxishinweis
Auch bei § 4 Abs. 3 EStG zu beachten
Eine Pflicht zur Einzelaufzeichnug gilt dem Grunde nach auch bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG24.
Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung erfordern grundsätzlich die Aufzeichnung jedes einzelnen Geschäftsvorfalls unmittelbar nach seinem Abschluss und in einem Umfang, der einem sachverständigen Dritten in angemessener Zeit eine lückenlose Überprüfung seiner Grundlagen, seines Inhalts, seiner Entstehung und Abwicklung und seiner Bedeutung für den Betrieb ermöglicht25. Das bedeutet nicht nur die Aufzeichnung der in Geld bestehenden Gegenleistung, sondern auch des Inhalts des Geschäfts und des Namens des Vertragspartners. Dies gilt auch für Bareinnahmen und für Barausgaben26. Die vorgenannten Grundsätze gelten für jeden, der eine gewerbliche, berufliche oder land- und forstwirtschaftliche, Tätigkeit selbständig ausübt27.
Auch bei offener Ladenkasse
Die Pflicht zur Einzelaufzeichnung gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige ein elektronisches Aufzeichnungssystem oder eine offene Ladenkasse verwendet. Bei elektronischen Aufzeichnungssystemen wird die Einzelaufzeichnung regelmäßig elektronisch gespeichert. Bei offenen Ladenkassen ist ein formell ordnungsgemäßes Kassenbuch zu führen.
Branchenspezifische Mindestaufzeichnungspflichten und Zumutbarkeitsgesichtspunkte sind zu berücksichtigen. Es wird z. B. nicht beanstandet, wenn die Mindestangaben zur Nachvollziehbarkeit des Geschäftsvorfalls einzeln aufgezeichnet werden, nicht jedoch die Kundendaten, sofern diese nicht zur Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit des Geschäftsvorfalls benötigt werden28.
Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht aus Zumutbarkeitsgründen
Nicht immer sind Einzelaufzeichnungen erforderlich
Bei elektronischen Kassen regelmäßig Aufzeichnungspflichten
Bei Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung gilt die Einzelaufzeichnungspflicht nach § 146 Abs. 1 Satz 1 AO aus Zumutbarkeitsgründen nicht, wenn kein elektronisches Aufzeichnungssystem, sondern eine offene Ladenkasse verwendet wird31. Wird hingegen ein elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet, gilt die Einzelaufzeichnungspflicht nach § 146 Abs. 1 Satz 1 AO unabhängig davon, ob das elektronische Aufzeichnungssystem und die digitalen Aufzeichnungen nach § 146a Abs. 3 AO i. V. mit der KassenSichV mit einer zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung zu schützen sind32.
Praxishinweise
Es besteht keine gesetzliche Pflicht zur Verwendung eines elektronischen Aufzeichnungssystems33
Vielzahl von Personen
Von einem Verkauf von Waren an eine Vielzahl nicht bekannter Personen ist auszugehen, wenn nach der typisierenden Art des Geschäftsbetriebs alltäglich Barverkäufe an namentlich nicht bekannte Kunden getätigt werden34. Dies setzt voraus, dass die Identität der Käufer für die Geschäftsvorfälle regelmäßig nicht von Bedeutung ist35.
Praxishinweis
Im Zweifel: Einzelaufzeichnung führen
Was gilt bei Dienstleistern?
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BGBl 2016 I S. 3152, BerP 2016 S. 479 ff; 2017 S. 636 ff.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 29.5.2018 IV A 4 - S 0316/13/10005 :054, DStR 2018 S. 1183.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 1 Satz 2.
- [ ↑ ]BFH, Urteile v. 20.9.1989 X R 39/87, BStBl 1990 II S. 109; v. 25.3.2015 X R 20/13, BStBl 2015 II S. 743; BFH, Beschluss v. 23.12.2004 III B 14/04, BFH/NV 2005 S. 667.
- [ ↑ ]FG des Saarlandes, Urteil v. 15.7.2003 1 K 174/00, EFG 2003 S. 1437; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil v. 16.12.2013 1 K 1147/12, juris.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 1 Satz 4.
- [ ↑ ]BFH, Beschluss v. 1.12.1998 III B 78/97, BFH/NV 1999 S. 741.
- [ ↑ ]BFH, Beschluss v. 23.2.2018, X B 65/17, BFH/NV 2018 S. 517.
- [ ↑ ]B. Neufang/Bohnenberger, StB 2016 S. 266, Tz. VI.6.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 3 Satz 2.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 3 Satz 5.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 6 Satz 1.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 3 Satz 7.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 4 Satz 2 und 3.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 5 Satz 1.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 5 Satz 3.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 5 Satz 4.
- [ ↑ ]Bellinger, BBK 2018 S. 280, Tz. III.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 25.3.2015 X R 20/13 BStBl 2015 II S. 743.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 6 Satz 3.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 6 Satz 4.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146b Nr. 6 Satz 12.
- [ ↑ ]Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zum Entwurf eines BMF-Schreibens zur gesetzlichen Neuregelung des § 146b AO durch das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22.12.2016; Anwendungserlass zu § 146b AO, zu Ziff. 6 Abs. 3.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146 Tz. 2.1.1; BFH, Urteil v. 15.4.1999 IV R 68/98, BStBl 1999 II S. 481.
- [ ↑ ]Zu dem erforderlichen Umfang vgl. auch AEAO zu § 146 Tz. 2.1.3.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 12.5.1966 IV 472/60, BStBl 1966 III S. 371.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 26.2.2004 XI R 25/02, BStBl 2004 II S. 599.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146 Tz. 2.1.5; BMF, Schreibens v. 14.11.2014, BStBl 2014 I S. 1450, Rz. 37.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 12.5.1966 IV 472/60, BStBl 1966 III S. 371.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146 Tz. 2.2.1.
- [ ↑ ]§ 146 Abs. 1 Satz 3 und 4 AO, vgl. AEAO zu § 146 Tz. 2.1.4.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146 Tz. 2.2.2.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146 Tz. 3.1.
- [ ↑ ]BFH, Urteile v. 12.5.1966 IV 472/60, BStBl 1966 III S. 371; v. 16.12.2014 X R 29/13, BFH/NV 2015 S. 790.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146 Tz. 2.2.5.
- [ ↑ ]AEAO zu § 146 Tz. 2.2.6.