Neufang Akademie

nach oben

Großer Senat des BFH verwirft den Sanierungserlass des BMF

Kategoriegrafik

Der Große Senat des BFH1 hat zu der umstrittenen Frage Stellung genommen, ob der Sanierungserlass, der es der Finanzverwaltung ermöglicht, bestimmte Unternehmensgewinne aus Billigkeitsgründen von der Besteuerung frei­zu­stel­len, mangels gesetzlicher Rechtsgrundlage ein unzulässiges Sanierungs­pri­vileg darstellt.

Verzichtet ein Gläubiger zum Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise auf Forderungen, so hat dies beim Schuldner-Unternehmen grundsätzlich eine steuerbare Erhöhung des Betriebsver­mögens zur Folge. Dadurch kann sich ein steuerbarer Buchgewinn (Sanierungsgewinn) ergeben. Bis zum Ver­an­la­gungs­zeitraum 1997 waren Sanierungsgewinne unter bestimmten Vor­aus­setzungen nach § 3 Nr. 66 EStG a. F. in voller Höhe steuerfrei. Seit der Aufhebung der Vorschrift2 ab dem Veranlagungszeitraum 1998 sind Sa­nie­rungs­ge­winne grundsätzlich steuerpflichtig. Eine Befreiung von der Steuer­pflicht ist seitdem im Einzelfall nur noch im Billigkeitswege nach §§ 163, 227 AO möglich.

Das BMF reagierte auf die geänderte Gesetzeslage mittels einer all­ge­mein­ver­bindlichen Verwal­tungsanweisung, dem sog. Sanierungserlass3. Darin bezieht sich das BMF auf die Billigkeits­regelungen der §§ 163 und 227 AO und bestimmt, dass Ertragsteuern auf einen Sanie­rungsgewinn unter bestimm­ten Vor­aus­setzungen, die denen des § 3 Nr. 66 EStG a. F. ähneln, erlassen wer­den können. Liegt ein Sanierungsplan vor, kann davon aus­ge­gangen wer­den, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind4. Eine Prüfung persönlicher oder sachlicher Billigkeitsgründe im Einzelfall war nicht mehr not­wendig.

Der Große Senat hat dieser Verwaltungsanweisung des BMF nun eine Absage erteilt. Er hat entschieden, dass der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt.

Die Finanzverwaltung stellt im Sanierungserlass bestimmte Voraussetzungen auf, bei deren Vorliegen sie die sachliche Unbilligkeit der Besteuerung von Sanierungsgewinnen bejaht. Diese dort genannten Voraussetzungen be­schrei­ben jedoch keinen Fall der sachlichen Unbilligkeit im Sinne der §§ 163, 227 AO. Der Gesetzgeber hat durch die Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Sanierungsgewinne nicht mehr steuerlich privilegiert werden. Indem die Finanzverwaltung die Besteuerung von Sanierungsgewinnen unter den im Sanierungserlass genannten Vor­aus­setzungen allgemein als sachlich unbillig erklärt und somit von der Be­steue­rung ausnimmt, konterkariert sie die Entscheidung des Gesetzgebers. Da­durch schafft sie typisierende Regelungen für einen Steuererlass außerhalb der nach §§ 163 und 227 AO im Einzelfall möglichen Billigkeitsmaßnahmen und nimmt eine strukturelle Gesetzes­korrektur vor. Die Finanzverwaltung ver­letzt damit das sowohl verfassungsrechtlich (Art. 20 Abs. 3 GG) als auch ein­fach­rechtlich (§ 85 S. 1 AO) normierte Legalitätsprinzip.

Die Entscheidung des Großen Senats bedeutet nicht, dass der Finanz­ver­waltung Billig­­keits­­maß­nahmen auf der Grundlage einer Ver­wal­tungs­an­wei­sung generell verwehrt sind. Es muss nur in jedem be­troffenen Einzelfall tatsächlich ein Billigkeitsgrund gegeben sein. Daraus folgt aber einerseits, dass eine Befreiung von der Steuer aufgrund des Sanierungserlasses nicht mehr möglich ist. Andererseits bleiben Billig­keits­maß­nah­men, die auf persönliche Billig­keits­gründe gestützt werden, weiterhin möglich.

Praxishinweis

Nach einer Abstimmung auf Bund-Länder-Ebene soll dem Vernehmen nach alsbald ein BMF-Schreiben veröffentlicht werden. Hiernach sind die bisherigen Verwaltungsregelungen5 bis auf weiteres aus Ver­trauens­schutz­gründen. Der Vertrauensschutz betrifft aber nur eine wider­ruf­liche Stundungsmöglichkeit. Erlasse sollen nicht mehr aus­ge­sprochen werden.
Eine gesetzliche Neuregelung wird angestrebt. Der Bundesrat hat am 10.3.20176 einen ersten Gesetzesvorschlag in Form eines neu gestalteten § 3a EStG bzw. § 3a GewStG vorgelegt.
Die Eckpunkte der geplanten Gesetzesmaßnahme sind Folgende:
  • Es sollen nur Sanierungen begünstigt werden, die darauf gerichtet sind, ein Unternehmen vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Keine begünstigte Sanierung ist gegeben, soweit die Schulden erlassen werden, um dem Steuer­pflich­ti­gen oder einem Beteiligten einen schuldenfreien Übergang in sein Pri­vat­leben oder den Aufbau einer anderen Existenzgrundlage zu er­mög­lichen.
  • Ein Sanierungsgewinn ist die betrieblich veranlasste Erhöhung des Be­triebsvermögens, die dadurch entsteht, dass Schulden zum Zweck der Sanierung durch die vorhandenen Gläubiger (Gläubigerakkord) ganz oder teilweise erlassen werden. Ein betrieblich veran­lasster Sa­nierungs­ge­winn liegt insbesondere dann nicht vor, wenn die Betriebs­ver­­mö­gens­­meh­rung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Dies ist zum Beispiel regelmäßig dann der Fall, wenn Forderungs­ver­zichte nahezu ausschließlich durch Gesellschafter aus­ge­sprochen wer­den. Ein zu begünstigender Schuldenerlass kann unter anderem durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger, durch die der Gläubiger auf eine Forderung verzichtet (Erlassvertrag nach § 397 Abs. 1 BGB), oder durch ein Anerkenntnis, dass ein Schuldverhältnis nicht besteht (negatives Schuldanerkenntnis nach § 397 Abs. 2 BGB), erfolgen. Steuerbegünstigt sind auch Betriebsver­mögens­mehrungen aufgrund von Forderungsverzichten im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens (§§ 217 ff. InsO), das nicht auf die Zerschlagung des Unternehmens ausgerichtet ist. Be­triebs­ver­mö­gens­mehrungen im Rahmen eines Verbraucherinsolvenz­ver­fahrens (§§ 304 ff. InsO) oder im Rahmen einer Rest­schuld­be­freiung (§§ 286 ff. InsO) sind mit steuerlicher Rückwirkung (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) im Zeitpunkt der jeweiligen Betriebsaufgabe oder -veräußerung zu berücksichtigen. Hingegen begründet ein Konfusionsgewinn keinen Sanierungsgewinn7. Ein Schuldenerlass kann nicht mit steuerlicher Rückwirkung vereinbart werden, so dass ein Sanierungs­gewinn - vorbehaltlich der Vereinbarung einer auf­schie­benden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) - mit Ver­trags­ab­schluss entsteht.
  • Eine bloße Steuerbefreiung des Sanierungsgewinns hätte eine sachlich nicht gerechtfertigte Doppelbegünstigung zur Folge. Der Sanierungs­ge­winn würde nicht mit negativen Einkünften ausgeglichen und ins­be­sondere nicht um einen etwaigen festgestellten Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG gemindert, der im Übrigen zeitlich unbefristet vor­ge­tragen werden könnte.
Die weitere vorübergehende Anwendung des Sanierungserlasses endet spätestens mit der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur steuer­lichen Behandlung von Sanierungsge­winnen.

Die Entscheidung des Großen Senats hat insbesondere nachteilige Aus­wir­kungen für insolvenz­gefährdete Unternehmen. Bei diesen führen Forderungs­ver­zichte der Gläubiger, die mit dem Ziel der Sanierung vorgenommenen werden, zu einem Gewinn des Unternehmens und lösen Steuer­­zah­lungen aus, die die Krise noch weiter verstärken. Dies erschwert eine erfolgreiche Sanierung. Die Entscheidung des Großen Senats führt zu erheblichen Un­sicher­heiten in diesem Bereich. Aus Sicht der Insolvenzverwalter steht zu be­fürch­ten, dass zukünftig zur Umgehung der steuerlichen Folgen statt Sa­nierung von Unternehmen deren Zerschlagung droht8.

Praxishinweis

Billigkeitsmaßnahmen sind bei Sanierungsgewinnen weiterhin möglich, wenn sie auf persön­lichen Billigkeitsgründen beruhen.
Die Entscheidung kann - abhängig vom Stand der Umsetzung - gra­vierende Auswirkungen auf laufende Sanierungen haben. Gibt es be­reits eine verbindliche Auskunft und sind die Sanie­rungsmaßnahmen ver­wirk­licht worden, ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung ihre Ent­schei­dung nicht nachträglich wieder rückgängig macht. Die hierfür er­for­der­lichen Voraus­setzungen des § 130 Abs. 2 AO werden im Regelfall nicht vorliegen. Sind die Sanierungs­maß­nahmen jedoch noch nicht verwirklicht worden (keine bindende Vereinbarung zwischen Unternehmen und Gläubiger), muss in Betracht gezogen werden, dass die Finanz­be­hör­de die verbindliche Auskunft nach § 2 Abs. 3 StAuskV mit Wirkung für die Zukunft aufheben wird, da diese rechtswidrig war.
Der Gesetzgeber hat auf den Beschluss des Großen Senats schnell reagiert. Der Bundesrat will Sanierungsgewinne weiterhin von der Be­steue­rung freistellen9. Allerdings könnte eine (schnelle) gesetzliche Re­ge­lung daran scheitern, dass die EU darin eine unionsrechtswidrige Beihilfe sieht10.
Die weitere Entwicklung hat großen Einfluss auf den Ausgang laufender Sanierungen und ist deshalb vom Berater im Blick zu behalten.

Fußnoten anzeigen


  1.  ]BFH, Beschluss v. 28.11.2016 GrS 1/15, BFH/NV 2017 S. 498.
  2.  ]Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform v. 29.10.1997.
  3.  ]BMF, Schreiben v. 27.3.2003 IV A 6 - S 2140 - 8/03, BStBl 2003 I S. 240; ergänzt durch das BMF, Schreiben v. 22.12.2009 IV C 6 - S 2140/07/10001-01, BStBl 2010 I S. 18.
  4.  ]BMF, Schreiben v. 27.3.2003 IV A 6 - S 2140 - 8/03, BStBl 2003 I S. 240, Rz. 4.
  5.  ]BMF, Schreiben v. 27.3.2003 IV A 6 - S 2140 - 8/03, BStBl 2003 I S. 240; v. 22.12.2009 IV C 6 - S 2140/07/10001-01, BStBl 2010 I S. 18.
  6.  ]BR-Drucksache 59/17 v. 10.3.2017.
  7.  ]BFH, Urteil v. 14.10.1987 I R 381/83, BFH/NV 1989 S. 141.
  8.  ]Pressemitteilung des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands v. 7.2.2017.
  9.  ]Vgl. BR-Drucksache 59/1/17 v. 27.2.2017.
  10.  ]Der Bundesrat geht davon aus, dass eine beihilferechtliche Genehmigung der Europäischen Kommission erforderlich ist. Eine solche ist jedoch kein Selbstläufer.

Weitere Artikel dieser Ausgabe