- Gericht / Az:
- BVerfG, Beschlüsse v. 27.6.2018 1 BvR 100/15; 1 BvR 249/15
- Fundstelle:
-
juris
- Gesetz:
- § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V SGB IV
Urteilsfall
Im Urteilsfall setzte ein Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden aus einem Dienstverhältnis einen Lebensversicherungsvertrag mit einer Pensionskasse freiwillig fort und übernahm den Lebensversicherungsvertrag als alleiniger Versicherungsnehmer. Vor dem Ausscheiden war der Arbeitgeber neben dem Arbeitnehmer Vertragspartner der Pensionskasse.
1. Ertragsteuerliche Folgen
Beiträge des Arbeitgebers können steuerfrei gestellt werden
Die Beitragszahlungen des Arbeitgebers in der Einzahlungsphase stellen grundsätzlich Arbeitslohn dar. Dieser ist jedoch gem. § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei, soweit die Beiträge im Kalenderjahr 8 Prozent (bis 2017: 4 Prozent zzgl. 1.800 € bei Neuverträgen) der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung nicht übersteigt (sodann volle Besteuerung der Rentenzahlungen in der Auszahlungsphase gem. § 22 Nr. 5 EStG). Soweit der Arbeitgeber die Beiträge in der Ansparphase pauschal oder oder der Arbeitnehmer dies über den Bruttolohn besteuert hat, liegt in der Auszahlungsphase nur eine Steuerpflicht i. H. des Ertragsanteils vor (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb EStG1.
Übernahme führt zu Lohnzufluss
Weil im Urteilsfall der Versicherungsvertrag weiterhin freiwillig vom ausgeschiedenen Arbeitnehmer bedient wird, erwirbt dieser bei Übernahme des Vertrags einen Anspruch aufgrund eigener Beitragszahlungen, welcher zu einem Lohnzufluss führt, denn er ist vom Grundsatz her verfügungsberechtigt.
Rentenauszahlung ist mit Ertragsanteil zu besteuern
Liegt ein sog. „Altfall“ vor (Versicherungsbeginn vor 01.01.2005), stellen die eignen Beiträge Sonderausgaben i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe 3a EStG dar. Wird die spätere Auszahlung in Form einer Rente gewählt, ist die Zahlung, die aus eigenen Beitragsleistungen des Arbeitnehmers resultiert, gem. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb EStG mit dem Ertragsanteil steuerpflichtig. Dies gilt auch für die Zahlung, die in Beitragszahlungen des Arbeitgebers begründet ist, weil die Übernahme zu einem Lohnzufluss des Anspruchs geführt hat. Eine Sozialversicherungspflicht scheidet insoweit aufgrund der Verbeitragung aus.
Ggf. ist nur die Hälfte des Unterschiedsbetrags steuerpflichtig
Bei einer Kapitalauszahlung ist § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG zu beachten. Wird die Versicherungsleistung bei Fälligkeit nach Vollendung des 60. Lebensjahres und nach Ablauf von zwölf Jahren nach Vertragsabschluss ausgezahlt, ist nur die Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen der Versicherungsleistung und der Summe der auf sie entrichteten Beiträge zu versteuern. Für ab dem Jahr 2012 abgeschlossene Verträge steigt die Altersgrenze gem. § 52 Abs. 36 Satz 9 EStG von 60. auf das vollendete 62. Lebensjahr. Auszahlungen aus Altverträgen (Vertragsabschluss vor 01.01.2005) sind steuerfrei, wenn die Mindestlaufzeit von zwölf Jahren erfüllt ist2.
2. Sozialversicherungsrechtliche Folgen
Keine Einbeziehung von Erträgen aufgrund von Einzahlungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Setzt ein Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden aus einem Dienstverhältnis einen Lebensversicherungsvertrag mit einer Pensionskasse freiwillig fort und wird er alleiniger Versicherungsnehmer, so verstößt es gegen das Gleichheitsgebot, wenn für die Berechnung der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in der Rentenbezugsphase solche Erträge berücksichtigt werden, die auf Einzahlungen nach Ende des Arbeitsverhältnisses beruhen, während Erträge aus privaten Lebensversicherungen von pflichtversicherten Rentnern nicht zur Berechnung herangezogen werden.
Lebensversicherungsvertrag wird außerhalb des Rahmens des Betriebsrentenrechts fortgesetzt
Indem der Versicherte nach Ende des Arbeitsverhältnisses mit der Pensionskasse einen Lebensversicherungsvertrag ohne Beteiligung des Arbeitgebers abschließt oder durch ausschließlich eigene Beitragszahlungen fortsetzt, wird der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts verlassen. Einzahlungen des Versicherten auf diesen Vertragsteil unterscheiden sich nur unwesentlich von Einzahlungen in privat abgeschlossene Lebensversicherungsverträge. Eine unterschiedliche Behandlung bei der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist nicht gerechtfertigt.
Praxishinweise
Die Differenzierung zwischen betrieblicher und privater Altersversorgung und einer daraus resultierenden Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist nicht allein nach der auszahlenden Institution, sondern vielmehr nach der Vertragsgestaltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorzunehmen.
Weiterhin offen ist die Frage, wann im Einzelfall eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung bei Alterseinkünften vorliegt. Nach Auffassung des BFH3 liegt eine solche vor, wenn der mit der statistischen Lebenserwartung multiplizierte, steuerfreie Jahresbetrag der Rente im Zeitpunkt des Renteneintritts geringer ist, als die aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen4.
Aufgrund der Nachweispflicht des Mandanten einer Doppelbesteuerung, muss dieser die Unterlagen der Altjahre aufbewahren. Hilfsweise könnte bei Arbeitnehmern auf die bei der Deutschen Rentenversicherung gespeicherten Daten zurückgegriffen werden, wenn diese vom Finanzamt akzeptiert werden.
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 24.7.2013 IV C 3 - S 2015/11/10002/IV C 5 - S 2333/09/10005, BStBl 2013 I S. 1022, Rz. 372.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 1.10.2009 IV C 1 – S 2252/07/0001, BStBl 2009 I S. 1172, Rz. 88.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 21.6.2016 X R 44/14, BFH/NV 2016 S. 1791.
- [ ↑ ]Vgl. BerP 2016 S. 711; 2018 S. 20.