- Gericht / Az:
- BFH, Urteil vom 22.2.2023 I R 35/22
- Fundstelle:
- BFH/NV 2023 S. 753
- Gesetz:
- § 1 Abs. 2 KStG , Art. 7 OECD-MA
- Streitfrage:
- Können ausländische Betriebsstättenverluste bei der inländischen Gewinnermittlung berücksichtigt werden?
Entwicklung
Die Frage, ob Verluste aus ausländischen Betriebsstätten bei der inländischen Gewinnermittlung steuerlich berücksichtigt werden können oder aufgrund der unionsrechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit im Inland berücksichtigt werden müssen, stellt eine Achterbahnfahrt im inländischen Steuerrecht dar, die aber aufgrund des o. g. Urteils nunmehr beendet sein dürfte. Insoweit muss zunächst ein Blick auf die Historie geworfen werden.
Ausgangslage: Verluste können berücksichtigt werden
Mit Urteil vom 17.7.2008 hatte der BFH1 das Revisionsverfahren zur Rechtssache „Lidl Belgium“2 fortgesetzt und bei der Verwertung von ausländischen Betriebsstättenverlusten unter Anwendung der Freistellungsmethode entschieden, dass derartige Verluste prinzipiell dann im Inland genutzt werden können, wenn sich diese endgültig im ausländischen Staat nicht mehr auswirken.
Abkehr durch EuGH 2015
Mit Urteil vom 17.12.20153 hatte der EuGH überraschend die Berücksichtigung eines ausländischen Veräußerungsverlustes in EU-Fällen abgelehnt, wenn die laufenden Einkünfte nach DBA steuerfrei sind. Der BFH hatte hieraufhin seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und die Berücksichtigung finaler Verluste nunmehr abgelehnt4.
Abkehr von der Abkehr?
Erneute Zweifel ergaben sich jedoch durch ein weiteres EuGH-Urteil vom 12.6.20185. In diesem Fall wurde ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht angenommen, wenn Verluste aufgrund rein nationaler Regelungen (also ohne Anwendung eines DBA) eines Mitgliedstaates nicht berücksichtigt werden.
Erneute Vorlage an den EuGH
Die eigentliche Frage, unter welchen Umständen konkret finale Verluste vorliegen, die im Inland berücksichtigt werden müssen, blieb jedoch weiterhin unbeantwortet. Insoweit hat der BFH6 erneut dem EuGH die Frage vorgelegt, ob finale Verluste im Inland berücksichtigt werden müssen, wann diese final sind und ob diese auch Auswirkungen auf die Gewerbesteuer haben.
EuGH 2022: keine Berücksichtigung von Verlusten
Der EuGH negiert in der Vorlage des BFH (in Anlehnung an sein Urteil aus 2015) eine Berücksichtigung finaler Verluste im Inland, zumindest dann, wenn diese abkommensrechtlich über die Freistellungsmethode von der Besteuerung im Inland ausgeschlossen sind7. Insoweit musste auf weitere Fragestellungen des BFH z. B. zur Gewerbesteuer nicht eingegangen werden.
Sachverhalt
Insoweit konnte nunmehr der nachfolgende Sachverhalt durch den BFH entschieden werden: Die im Inland ansässige A-AG betreibt ein Bank. Im Jahr 2004 wird eine Zweigniederlassung in Großbritannien gegründet. Diese wird bereits im Jahr 2007 wieder geschlossen. Da aufgrund der Schließung eine Verwertung der Verluste in Großbritannien ausgeschlossen ist, sollen die im Ausland erzielten Verluste bei der A-AG steuerlich berücksichtigt werden. Während die Finanzverwaltung die Berücksichtigung der britischen Verluste abgelehnt hat, gab das Finanzgericht der Klage statt, weil die Verluste aus unionsrechtlichen Gründen zu berücksichtigen sind.
Urteilsbegründung
Der Bundesfinanzhof hat das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Ausschluss der Berücksichtigung ausländischer Verluste verstößt nicht gegen die Niederlassungsfreiheit. Auch aus dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Großbritannien ergibt sich keine Verpflichtung die Verluste im Inland zu berücksichtigen.
Regelungen im DBA
Nach Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a DBA Deutschland Großbritannien werden in Großbritannien erzielte Einkünfte im Inland von der inländischen Steuer freigestellt (Freistellungsmethode). Dies betrifft sowohl positive als auch negative Einkünfte. Bei Unternehmensgewinnen wird das Besteuerungsrecht nach Art. 7 Abs. 1 DBA Deutschland Großbritannien dem Staat zugewiesen, wo sich die Betriebsstätte befindet. Im Urteilsfall lag das Besteuerungsrecht unstrittig in Großbritannien. Bei Kapitalgesellschaften bleiben insoweit die freigestellten ausländischen Einkünfte folgerichtig komplett unberücksichtigt, weil § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG bei Kapitalgesellschaften keine Anwendung findet.
Kein Verstoß gegen Niederlassungsfrei-heit
Es liegt auch kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vor, wenn die Freistellung auf einem DBA beruht. Da sich die Freistellung der Einkünfte aus dem DBA Deutschland Großbritannien ergibt, fehlt es schon tatbestandlich an einer Vergleichbarkeit mit reinen Inlandsfällen, die zu einem Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit führen könnte.
Fazit: Kein Abzug im Inland
Demnach sind finale Verluste aus Betriebsstätten nicht im Inland zu berücksichtigen, auch wenn sie sich diese im ausländischen Staat steuerlich nicht mehr auswirken können.
Praxishinweis
Durch das Urteil des BFH dürfte nunmehr endgültig geklärt sein, dass finale Verluste beim Freistellungsfällen im Bereich der Körperschaften nicht im Inland berücksichtigt werden müssen. Da Deutschland mit nahezu allen Mitgliedern der europäischen Union entsprechende Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung abgeschlossen hat, dürften sich in der Praxis nur wenige Fälle ergeben, wo eine Verlustberücksichtigung in Frage kommt.
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 17.7.2008 I R 84/04, BStBl 2009 II S. 630; BMF, Schreiben v. 13.7.2009 IV B 5 - S 2118-a/07/10004, BStBl 2009 I S. 835 (Nichtanwendungserlass).
- [ ↑ ]EuGH, Urteil v. 15.5.2008 C-414/06, BStBl 2009 II S. 692.
- [ ↑ ]EuGH, Urteil v. 17.12.2015 C-388/14 (Timac Agro Deutschland), BStBl 2016 II S. 362.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 22.2.2017 I R 2/15, BStBl II 2017 S. 709.
- [ ↑ ]EuGH, Urteil v. 12.6.2018 C-650/16 (Bevola und Jens W. Trock), BFH/NV 2018 S. 927.
- [ ↑ ]BFH, Beschluss v. 6.11.2019 I R 32/18, BStBl II 2021 S. 68.
- [ ↑ ]EuGH, Urteil v. 22.9.2022 C-538/20, BFH/NV 2022 S. 1279.