- Gericht / Az:
- BFH, Urteil vom 14.2.2023 IX R 11/21
- Fundstelle:
-
DStR 2023 S. 760
- Gesetz:
- § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
- Streitfrage:
- Liegt eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auch vor, wenn eine Wohnung an Ehefrau und Kind überlassen wird?
Nutzung zu eigenen Wohnzwecken bei § 23 EStG
Nutzung zu eigenen Wohnwecken bei § 23 EStG
Bei den privaten Veräußerungsgeschäften gibt es eine Ausnahmeregelung für zu eigenen Wohnzwecken genutztes Wohneigentum (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Danach liegt in diesen beiden Fällen kein privates Veräußerungsgeschäft vor1:
Ununterbrochene Eigennutzung
Im ersten Fall ist eine ununterbrochene Eigennutzung zwischen Anschaffung und Veräußerung notwendig. Leerstandzeiten vor Beginn und nach Beendigung der Eigennutzung sind unschädlich, wenn sie mit der beabsichtigten Eigennutzung bzw. mit der beabsichtigten Veräußerung zusammenhängen.
Zusammenhängend innerhalb der letzten drei Kalenderjahre
Im zweiten Fall muss das Gebäude in einem zusammenhängenden Zeitraum innerhalb der letzten drei Jahre zu eigenen Wohnzwecken genutzt werden.
Beratungshinweis
Dieser Zeitraum muss keine vollen drei Kalenderjahre umfassen. Damit ist im Extremfall eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken von einem Jahr und zwei Tagen ausreichend. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken muss zumindest am 1. Januar, im Vorjahr der Veräußerung durchgehend sowie im zweiten Jahr vor der Veräußerung mindestens am 31. Dezember gegeben sein2.
Fallgruppen der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken
Zu eigenen Wohnzwecken dient ein Gebäude, wenn der Steuerpflichtige es
Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken liegt nicht vor, wenn die Wohnung dem Steuerpflichtigen nicht als Wohnung zur Verfügung steht, sondern von einem Dritten zu Wohnzwecken genutzt wird und der Steuerpflichtige sich dort nur gelegentlich besuchsweise aufhält4.
Gilt auch für Zweit- und eigengenutzte Ferienwohnung
Diese Grundsätze gelten auch, wenn ein Gebäude oder eine Wohnung nur zeitweilig bewohnt wird und in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht. Somit fallen auch unter diese Ausnahmeregelung5:
Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Erbfall
Bei unentgeltlichem Erwerb des Grundstücks (Schenkung, Erbfall) ist die Nutzung des Grundstücks zu eigenen Wohnzwecken durch den Rechtsvorgänger dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.
Ausgewählte Fallbeispiele
Unbebaute Grundstücke
Unbebaute Grundstücke
Ein unbebautes Grundstück ist kein begünstigtes Wirtschaftsgut im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG6.
Wird bei einer eigengenutzten Immobilie eine unbebaute Teilfläche, die als Garten genutzt wurde, flurmäßig abgetrennt und anschließend veräußert, erfüllt dieser Teil nicht die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, weil kein Nutzungs- und Funktionszusammenhang zum weiter bewohnten Objekt besteht7.
Leerstandzeiten
Leerstandszeiten im Zusammenhang mit der Eigennutzung sind unschädlich
Ein Leerstand vor Beginn der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken ist unschädlich, wenn er mit der beabsichtigten Nutzung zu eigenen Wohnzwecken in Zusammenhang steht. Dies gilt auch für einen Leerstand zwischen Beendigung der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken und Veräußerung des Gebäudes, wenn der Steuerpflichtige die Veräußerungsabsicht nachweist8.
Teilweise Nutzung zu eigenen Wohnzwecken
Anteilige Steuerbefreiung bei nur teilweiser Nutzung zu Wohnzwecken
Bei nur teilweiser Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gilt die Ausnahme nur für den zu Wohnzwecken genutzten Teil. Die Aufteilung hat nach dem Nutzflächenverhältnis zu erfolgen9. Unter die Ausnahme fällt auch der anteilige Grund und Boden, allerdings nur in dem Umfang, in dem er für die entsprechende Gebäudenutzung üblich und erforderlich ist10. Ein benachbartes Gartengrundstück ist nicht privilegiert11.
Teilweise vermietete Zimmer
Werden in einem zu eigenen Wohnzwecken genutzten Haus einzelne Zimmer tageweise vermietet, fallen diese Zimmer nicht unter § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG. Das restliche Haus (nicht vermietete Zimmer) können begünstigt sein12.
Praxishinweise
Nach den Ausführungen des BFH ist in diesem Zusammenhang auf die Wohn- und nicht auf die Nutzflächen abzustellen, weil die Norm die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken privilegiert.
Nach der bisherigen Verwaltungsauffassung ist bei unterschiedlichen Gebäudeteilen nach dem Verhältnis der Nutzflächen aufzuteilen, es sei denn, die Aufteilung führt zu einem unangemessenen Ergebnis13.
Häusliches Arbeitszimmer
Kein anteiliger Ver-äußerungsgewinn bei Arbeitszimmer
Wird eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Eigentumswohnung innerhalb der zehnjährigen Haltefrist des § 23 EStG veräußert, gilt die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG auch für ein zur Erzielung von Überschusseinkünften genutztes häusliches Arbeitszimmer. Das heißt, die gesamte Wohnung einschließlich des häuslichen Arbeitszimmers ist nach der Rechtsprechung von der Besteuerung ausgenommen14.
Urteilsfall
Urteilsfall
Im Urteilsfall wurde 2008 ein Haus erworben. 2015 zog der Ehemann aus dem gemeinsam mit der Ehefrau bewohnten Haus aus, weil die Ehe 2017 geschieden wurde. Nachdem die geschiedene Ehefrau mit einer Zwangsversteigerung drohte, veräußerte der Ehemann seinen hälftigen Miteigentumsteil an diesem Haus im Rahmen einer Scheidungsfolgevereinbarung an seine geschiedene Ehefrau im Jahr 2017.
Innerhalb von 10 Jahren grundsätzlich steuerpflichtig
Nachdem die Veräußerung innerhalb der Zehn-Jahres-Frist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erfolgte, ist die Veräußerung des hälftigen Miteigentumsteils grundsätzlich steuerpflichtig.
Keine Nutzung zu eigenen Wohn-zwecken
Die Ausnahmeregelung bezüglich der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken greift nicht. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken erfolgt nicht mehr, wenn der Ehemann aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen ist. Eine Nutzung durch die geschiedene Ehefrau und das gemeinsame Kind ist nicht ausreichend. Die Nutzung durch das eigene minderjährige Kind kann nicht dem Ehemann zugerechnet werden. Denn minderjährige Kinder haben keinen eigenen Haushalt, sondern sind dem Haushalt des betreuenden Elternteils zuzurechnen.
Praxishinweis
Damit ist in Scheidungsfällen nur dann eine steuerfreie Veräußerung möglich, wenn die Veräußerung an den geschiedenen Ehegatten außerhalb der Zehn-Jahres-Frist erfolgt.
Überlassung nur an Kinder im Sinne des § 32 EStG ist be-günstigt
Die Regelung zur Überlassung an Kinder hilft leider auch nicht weiter. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken liegt vor, wenn der Steuerpflichtige das Wirtschaftsgut einem Kind, für das er Anspruch auf Kindergeld oder Kinderfreibetrag hat, unentgeltlich (keine Vermietung) zu Wohnzwecken überlässt17.
Sachverhalt 1
A überlässt eine in 2020 angeschaffte Wohnung unentgeltlich an sein Kind K (berücksichtigungsfähig nach § 32 EStG), das während des Studiums dort wohnt. Nach Beendigung des Studiums veräußert A die Wohnung 2023.
Stellungnahme
Aufgrund der Überlassung der Wohnung an das berücksichtigungsfähige Kind K liegt eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken vor18. Die Veräußerung erfolgt daher steuerfrei. Voraussetzung ist jedoch, dass mit dem Ende des Studiums und vor Vollendung des 25. Lebensjahres die Wohnung veräußert wird.
Überschreitet das Kind die Altersgrenze des § 32 EStG, wird die Wohnung im Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt, so dass der Veräußerungsgewinn steuerpflichtig ist19.
Überlassung an Kinder und andere unterhaltsberechtigte Personen ist nicht begünstigt
Dies gilt aber nicht, wenn die Wohnung nach dem Auszug des Steuerpflichtigen einem im Sinne des § 32 EStG zu berücksichtigenden Kind nicht zur alleinigen Nutzung, sondern auch einer anderen ‑ ggf. auch unterhaltsberechtigten ‑ Person (Urteil 1: der ehemaligen Lebensgefährtin und Kindesmutter, Urteil 2: nicht mehr berücksichtigungsfähiges Kind) zur gemeinsamen Nutzung mit dem Kind überlassen wird20.
Sachverhalt 2
A ist Alleineigentümer einer Wohnung, die er bis 2019 zusammen mit seiner damaligen Ehefrau ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt hatte. Nach der Trennung und Scheidung überlässt er diese Wohnung im Rahmen seiner Unterhaltsverpflichtung unentgeltlich an seine geschiedene Ehefrau. 2023 veräußert er die im Jahr 2018 angeschaffte Wohnung.
Stellungnahme
Die unentgeltliche Überlassung der Wohnung an die geschiedene Ehefrau stellt keine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG dar. Die Veräußerung ist mithin steuerpflichtig.
Praxishinweis
Die unentgeltliche Überlassung eines Wirtschaftsguts an andere - auch unterhaltsberechtigte - Angehörige stellt keine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken dar21.
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 16.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 3.9.2019 IX R 10/19, BFH/NV 2020 S. 14, 569; BMF, Schreiben v. 17.6.2020 IV C 1 - S 2256/08/10006 :006, juris.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 22-23.
- [ ↑ ]BFH, Beschluss v. 29.5.2018 IX B 106/17, BFH/NV 2018 S. 951.
- [ ↑ ]BFH, Urteile v. 27.6.2017 IX R 37/16, BStBl 2017 II S. 1192; v. 26.10.2021 IX R 5/21, BStBl 2022 II S. 403; BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 21-23.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 20.
- [ ↑ ]Niedersächsisches FG, Urteil v. 20.7.2022 4 K 88/21, EFG 2023 S. 494 (Rev. eingelegt, Az. des BFH: IX R 14/22).
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 25.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 32.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 17.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 25.5.2011 IX R 48/10, BStBl 2011 II S. 868.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 19.7.2022 IX 20/21, BStBl 2023 II S. 234.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 32.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 1.3.2021 IX R 27/19, BStBl 2021 II S. 680.
- [ ↑ ]BFH, Urteile v. 1.3.2021 IX R 27/19, BStBl 2021 II 680, Rz 14, v. 18.1.2006 IX R 18/03, BFH/NV 2006 S. 936; v. 25.5.2011 IX R 48/10, BStBl 2011 II S. 868; v. 27.6.2017 IX R 37/16, BStBl 2017 II S. 1192; v. 3.9.2019 IX R 8/18, BStBl 2020 II S. 122; v. 3.9.2019 IX R 10/19, S. 507, BStBl 2020 II S. 310; v. 24.5.2022 IX R 28/21, BFH/NV 2023 S. 20.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 31.5.1995 X R 140/93, BStBl 1995 II S. 720.
- [ ↑ ]FG München, Urteil v. 11.7.2017 12 K 796/14, EFG 2017 S. 1795; BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 ‑ S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 23.
- [ ↑ ]BFH, Urteile v. 26.1.1994 X R 94/91, BStBl 1994 II 544; v. 18.1.2011 X R 13/10, BFH/NV 2011 S. 974.
- [ ↑ ]FG Baden-Württemberg, Urteil v. 4.4.2016 8 K 2166/14, EFG 2016 S. 1521.
- [ ↑ ]BFH, Urteile v. 14.2.2023 IX R 11/21, DStR 2023 S. 760; v. 24.5.2022 IX R 28/21, BFH/NV 2023 S. 20; Hessisches FG, Urteil v. 30.9.2015 1 K 1654/14, EFG 2016 S. 201; FG Münster, Urteil v. 19.5.2022 8 K 19/20 E, #EFG 2022 S. 1207 (Rev. eingelegt, Az. des BFH: IX R 10/22).
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 5.10.2000 IV C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl 2000 I S. 1383, Tz. 23.