- Gericht / Az:
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EuGH, Urteil vom 10.2.2022 C-9/20 (Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136)
- Fundstelle:
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juris
- Gesetz:
- § 15 UStG
- Streitfrage:
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Wann kann der Vorsteuerabzug in Anspruch genommen werden?
Zeitpunkt der Vorsteuer
Die Vorsteuer kann - zumindest bisher - in Anspruch genommen werden, wenn1
Auch bei Ist-Versteuerung
Die obigen Grundsätze gelten - zumindest noch - auch, wenn die Umsatzsteuer beim Leistenden selbst nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Versteuerung, § 20 UStG) berechnet wird2.
Änderung aufgrund von EuGH-Rechtsprechung
Die vorstehende Aussage wird künftig nicht mehr haltbar sein, denn der EuGH entschied nach einer Vorlage des FG Hamburg3 Folgendes: Art. 167 MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer nach einer nationalen Abweichung gemäß Art. 66 MwStSystRL erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und dieses noch nicht gezahlt worden ist.
Was bedeutet das konkret?
Oder verkürzt formuliert: Wenn eine Leistung von einem Ist-Versteuerer ausgeführt wird, ist der Vorsteuerabzug auf Seiten des Leistungsempfängers erst möglich, wenn die Leistung auch bezahlt wurde und damit die Umsatzsteuer auf Seiten des Leistenden entstanden ist.
Praxishinweis
Das Urteil ist für alle Unternehmer von Bedeutung. Es betrifft nicht Ist-Versteuerer als Leistende, sondern deren Leistungsempfänger. Dies kann z. B. der Mandant eines Steuerberaters sein, wenn der Steuerberater wegen seiner Zugehörigkeit zu den freien Berufen zulässig den § 20 UStG anwendet. Relevant ist allein die Ist-Versteuerung des Leistenden!
Praktische Umsetzung ist zumindest schwierig
Buchhalterisch ist dies in der Praxis ein Alptraum. Denn künftig muss für die Frage der Vorsteuer geprüft werden, ob der Leistende Ist- oder Soll-Versteuerer ist. Bei Soll-Versteuerern als Leistende kann weiterhin bereits bei Leistungserbringung und damit bei kreditorischer Einbuchung der Rechnung Vorsteuer in Anspruch genommen werden. Bei Ist-Versteuerern als Leistende muss jedoch die Einbuchung der Verbindlichkeit noch ohne Vorsteuerabzug erfolgen. Erst bei Begleichung der Verbindlichkeit ist ein Vorsteuerabzug möglich. Dabei stellen sich jedoch folgende praktische Fragen:
Aktuell noch Vertrauensschutz
Aufgrund der vorstehenden Probleme stellt sich die konkrete Frage, was aktuell zu tun ist? Hier gilt beruhigend: Bis zu einer Änderung von Gesetz oder Finanzverwaltungsauffassung können sich Unternehmer auf die Regelung des Abschn. 15.2 UStAE vertrauen4. Daher muss aktuell nicht gehandelt werden! Es ist jedoch zu erwarten, dass sich die Verwaltung zeitnah zur Thematik äußern wird; evtl. wird auch gesetzgeberisch reagiert.