
- Gericht / Az:
- BFH, Urteil vom 1.7.2025 VIII R 3/23
- Fundstelle:
- juris
- Gesetz:
- § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG
- Streitfrage:
-
Ist der Verlust aus einer unentgeltlich eingegangen Bürgschaft steuerlich berücksichtigungsfähig?
Einkunftserzielungsabsicht muss gegeben sein
Dem Einkommensteuerrecht immanent ist grundsätzlich der Tatbestand der Einkunftserzielungsabsicht. Ist diese nicht gegeben, liegt grundsätzlich eine sog. Liebhaberei vor. Hierbei ist zu beachten, dass das Erfordernis der Einkünfteerzielungsabsicht zwar grundsätzlich für alle Einkunftsarten gilt, allerdings unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Besonderheiten.
Praxishinweis
Ausführungen zur Liebhaberei in der Vergangenheit
Sie finden ausführliche Ausführungen in unseren Systematikbeiträgen zur Liebhaberei für den Bereich
Bei Kapitalvermögen wird Einkunftserzielungsabsicht grundsätzlich unterstellt
Für die Einkünfte aus Kapitalvermögen, welche dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterfallen, bedingen die Besonderheiten der Einkünfteermittlung eine tatsächliche (widerlegbare) Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht; damit ist für Kapitalerträge unter dem Regime der Abgeltungssteuer ein weniger strenger Maßstab an die Liebhabereiprüfung zu stellen. Die Finanzbehörde muss hier grundsätzlich beweisen, dass die Einkunftserzielungsabsicht nicht vorliegt. Dies entspricht der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BFH1. Die Finanzverwaltung folgt dieser Auffassung2.
Praxishinweis
Selbst bei verlustgeneigten Kapitalanlagen
Diese Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht gilt grundsätzlich auch für atypische, strukturell verlustgeneigte Kapitalanlagen3.
Streitfall
Im Besprechungsurteil wurde ein Steuerpflichtiger unentgeltlich Bürge für ein Darlehen einer GmbH, deren Gesellschafter jener nicht war, aber die über persönliche Beziehungen und ehemalige Geschäftsbeziehungen mit jenem verbunden war. Aus der Bürgschaft konnten grundsätzlich keine positiven Einkünfte erzielt werden4. Der Steuerpflichtige wurde letztlich aus der Bürgschaft in Anspruch genommen, die entstehende Bürgschaftsregressforderung fiel im Rahmen der Insolvenz der GmbH vollständig aus. Er beantragte den an die Bank geleisteten Betrag von knapp 200.000 € als Verlust i. S. des § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG anzuerkennen.
Der BFH sah die theoretische - wenn auch äußerst unrealistische - Möglichkeit der Einkunftserzielung darin, dass der Bürge die Bürgschaftsregressforderung (theoretisch) gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG oberhalb seiner Anschaffungskosten (im Streitfall von 0 €) an einen Dritten veräußern könne. Dass bei fehlender Inanspruchnahme des Bürgen aus der unentgeltlichen Bürgschaft i. d. Regel kein Totalgewinn erzielbar ist, sondern die Übernahme aus anderen wirtschaftlichen Beweggründen oder angestrebten Vorteilen des Bürgen erfolgt, stellt die Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht nicht in Frage5. Damit ist der Verlust aus der Bürgschaftsinanspruchnahme bzw. dem finalen Ausfall der Bürgschaftsregressforderung grundsätzlich anzuerkennen, denn die Einkünfteerzielungsabsicht für Verluste aus dem Ausfall einer Bürgschaftsregressforderung ist bei einer unentgeltlichen Bürgschaftsübernahme unter fremden Dritten widerlegbar zu vermuten. Sie ist grundsätzlich erst dann widerlegt, wenn die Bürgschaft ohne jeglichen wirtschaftlichen Hintergrund hingegeben worden ist.
Entscheided: Auch wirtschaftliches Motiv für Bürgschaft
Damit ist final entscheidend, ob für das Eingehen der Bürgschaft - auch - wirtschaftliche Gründe vorhanden waren, oder ob ein rein im Privaten liegendes Motiv (ohne jeglichen wirtschaftlichen Hintergrund und unter billigender Inkaufnahme des Risikos, als Bürge in Anspruch genommen zu werden) tragend für das Eingehen der Bürgschaft war. Dies konnte der BFH nicht entscheiden und verwies den Streitfall daher zurück an das FG, das diese Ermittlung nun im zweiten Rechtszug durchzuführen hat.
Praxishinweis
Gestaltung: Avalprovision verlangen
Maßgebender Zeitpunkt: Eingehen der Bürgschaft
Bei Gesellschaftern § 17 Abs. 2a EStG prüfen
Verlust unterliegt Beschränkungen des § 20 Abs. 6 EStG
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BFH, Urteile v. 14.3.2017 VIII R 38/15, BStBl 2017 II S. 1040; v. 27.10.2020 IX R 5/20, BStBl 2021 II S. 600; v. 20.6.2023 IX R 2/22, BFH/NV 2023 S. 1257.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.05.2025 IV C 1-S 2252/00075/016/070, BStBl 2025 I S. 1330, Tz. 125.
- [ ↑ ]So beispielsweise BFH, Urteil v. 14.3.2017 VIII R 25/14, BStBl 2017 II S. 1038 zur Steuerbarkeit des Verlusts aus der Veräußerung einer Sterbegeldversicherung (Kapitalversicherung mit Sparanteilen), die nur in den Fällen des Rückkaufs (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG) und ab dem 1.1.2009 des Verkaufs der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an einen Dritten (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG) überhaupt zu einer Besteuerung führen konnte, da die Auszahlung des Sterbegelds im Todesfall nicht der Besteuerung unterliegt.
- [ ↑ ]Ähnlich dem in der vorstehenden Fußnote dargestellten Fall der Sterbegeldversicherung.
- [ ↑ ]Vgl. ähnlich zur Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht beim Gesellschafterbürgen aufgrund möglicher Vorteile aus der Beteiligung BFH, Urteil v. 20.6.2023 IX R 2/22, BFH/NV 2023 S. 1257, Rz. 32 und BMF, Schreiben v. 7.6.2022 IV C 6-S 2244/20/10001:001, BStBl 2022 I S. 897, Tz. 22.
- [ ↑ ]Vgl. André Golombek, Beck'sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, 71. Edition, Stichwort Bürgschaft, Tz. V.
- [ ↑ ]BFH, Urteil vom 20.6.2023 IX R 2/22, BFH/NV 2023 S. 1257, Rz. 31; Jachmann-Michel, BB 2018 S. 2329.