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Versicherungspflicht in Personengesellschaften: Berufsrecht entscheidend - bei der GmbH bleibt es irrelevant

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Gericht / Az:
BSG, Urteile vom 28.6.2022 B 12 R 4/20 R, 23.4.2024 B 12 R 2/22 R
Fundstelle:
juris
Gesetz:
§ 7 SGB IV; § 2 SGB VI
Streitfrage:
Sozialversicherungspflicht trotz selbständiger Tätigkeit?

Rechtsform und Berufsbild sind für die sv-rechtliche Beurteilung relevant

Im Sozialversicherungsrecht gibt es zahlreiche Faktoren, die darüber ent­schei­den, ob eine Person sozialversicherungspflichtig ist oder nicht1. Dabei spie­len sowohl die Rechtsform eines Unternehmens als auch das zugrunde lie­gen­de Be­rufsbild eine wesentliche Rolle. Während bei Ka­pi­tal­ge­sell­schaf­ten, wie der GmbH, das Berufsbild i. d. Regel nicht re­le­vant ist, kann es bei Per­so­nen­ge­sell­schaften einen entscheidenden Ein­fluss auf die Ver­siche­rungs­pflicht haben. In der recht­lichen Praxis wird die­ser Unterschied immer wie­der geprüft und be­stätigt. Im Folgenden werden zwei aktuelle Urteile des Bun­des­sozialgerichts (BSG) vor­ge­stellt, die diese Thematik aus unter­schied­lichen Blick­win­keln beleuchten. Sie zeigen, wie sich die recht­liche Bewertung im Span­nungs­feld zwischen Ge­sellschaftsform und Be­rufs­recht gestaltet.  

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9.12.2024 in Denzlingen,
10.12.2024 in Leonberg,
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16.12.2024 in Hockenheim.
1.Sozialversicherungspflicht in einer Rechtsanwalts-GmbH

Auch in einer Rechts­anwalts-GmbH kann SV-Pflicht bestehen

Nachdem sich das BSG bereits in den Jahren 2019 und 2021 um­fassend mit dem so­zial­ver­si­che­rungsrechtlichen Status von Honorar-, Not- und Ver­tre­tungs­ärzten be­schäf­tigt und in einer ganzen Reihe von Urteilen die so­zial­ver­siche­rungsrechtliche Be­wer­tung von Geschäfts­führern beleuchtet hat, erging im vergangenen Jahr eine Ent­schei­­dung zum Status von Rechts­an­wäl­ten, die Ge­sellschafter-Geschäfts­führer in einer Anwalts-GmbH sind. Das BSG bleibt auch hier seiner Linie treu.

BSG bestätigt die Rechtsauffassung der DRV

Rechtsanwälte, die als Gesellschafter-Geschäftsführer einer Rechts­an­walts­ge­sell­schaft tätig sind, können aufgrund abhängiger Beschäftigung sozial­ver­siche­rungs­pflichtig sein. Dies ist nicht von vornherein deshalb aus­ge­schlos­sen, weil Rechtsanwälte unab­hängige Organe der Rechts­pflege sind, so das BSG  in diesem aktuellen Urteil, welches damit die Rechts­auf­fassung der DRV Clearing­stelle in einem Statusfest­stel­lungs­ver­fahren nach § 7a SGB IV be­stä­tig­te.

Rechtsmacht ist entscheidend

Auch bei Rechtsanwaltsgesellschaften kommt es, ebenso wie bei allen an­de­ren Ge­­sell­schaften mit beschränkter Haftung, für die Frage der Sozial­ver­siche­rungs­pflicht auf­grund Beschäftigung der Gesellschafter-Geschäfts­führer da­rauf an, ob sie über die ge­sell­schafts­­rechtliche Rechts­macht verfügen, die Ge­schicke des Unternehmens zu be­stim­men.

Urteilsfall

In dem zu entscheidenden Fall haben sich mehrere Rechtsanwälte zur ge­mein­samen Berufs­aus­übung zusammen­ge­schlossen und sich in einer GmbH or­ga­nisiert. Alle Rechts­an­wälte wurden zu Geschäftsführern bestellt. Sie ver­füg­ten über eine identische Anzahl von Gesell­schafts­anteilen von 20 % bzw. spä­ter 25 %. Keiner besaß damit eine Anteils­mehr­heit. Auch eine relevante Sperr­minorität wurde nicht vereinbart.

Entscheidung

Das BSG2 stellte ebenso wie die DRV und die Instanzgerichte fest, dass keiner der be­trof­fen­en Rechtsanwälte als Geschäftsführer über die vom Gericht in ständiger Recht­spre­chung geforderte Rechtsmacht verfügte, um die Geschicke der Gesellschaft zu be­stim­men3. Zudem enthielten die Ge­schäfts­führer­ver­träge arbeit­nehmer­typische Re­ge­lun­gen, wie eine feste Ver­gü­tung und Anspruch auf Erholungsurlaub.

Es liegt eine abhängige Beschäftigung vor

Sie waren damit in einen fremden Betrieb eingegliedert und führten kein eige­nes Unternehmen. Damit konnte keine Selbständig­keit i. S. der So­zial­ver­siche­rung begründet werden. Ergo bestand eine sozial­ver­siche­rungs­pflich­tige Be­schäftigung nach § 7 SGB IV.

Berufsrecht schließt SV-Pflicht nicht aus

Nach Auffassung des BSG schließt auch das anwaltliche Be­rufs­recht die sozial­versiche­rungs­rechtliche Einordnung als abhängige Be­schäf­ti­gung nicht aus. Zwar gehe das Berufsrecht der Anwälte grundsätzlich vom Leit­bild des Selbständigen aus, lasse aber auch den Status des Ar­beit­neh­mers zu. Ebenso komme der Zuordnung der An­walts­tätigkeit zu den sog. Freien Be­ru­fen kein normativer Charakter dergestalt zu, dass die Angehörigen eines sol­chen Berufs grund­sätzlich als Selbständige zu beurteilen seien.

Auf die Weisungsfreiheit kommt es nicht entscheidend an

Nach dem Inhalt der Geschäftsführerverträge sollten die Anwälte unabhängig, weisungsfrei und eigenverantwortlich unter Beachtung ihres Berufsrechts ihre Tätigkeit ausführen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind eine Tätigkeit nach Wei­sun­gen und eine Eingliederung in die Arbeits­or­ganisation des Wei­sungs­gebers Anhaltspunkte für eine Beschäftigung. Daraus ist nach ständiger Recht­sprechung des BSG aber nicht zwingend zu schließen, dass Wei­sungs­ge­bun­den­heit und Eingliederung in den Betrieb stets kumulativ vorliegen müs­sen. Es handele sich nur um „Anhaltspunkte“ für eine per­sön­liche Ab­hängig­keit, also im Regelfall typische Merkmale einer Be­schäf­ti­gung und nicht um ab­schließende Be­urteilungs­kriterien. Insbesondere bei sog. Diensten hö­he­rer Art könne die Weisungs­ge­bun­den­heit aufs Stärkste ein­ge­schränkt sein und sich „zur funk­tions­ge­rech­ten, dienenden Teilhabe am Ar­beits­prozess“ ver­feinern4 

Fachliche Unabhängigkeit steht einer Beschäftigung grds. nicht entgegen

Etwas anderes gilt auch nicht für Rechtsanwälte einer Rechts­an­walts­ge­sell­schaft. Die Bundes­rechts­an­walts­ordnung gewährleistet lediglich die fachliche Un­ab­hängig­keit der Rechts­anwälte, schließt eine Tätigkeit von Rechts­an­wäl­ten in abhängiger Beschäftigung aber nicht aus. Los­ge­löst von ihrer fachlichen Un­ab­hängig­keit können Rechtsanwälte in ihrer Po­si­tion als Geschäfts­führer in das Unter­neh­men eingegliedert sein und ge­sell­schafts­recht­lichen Weisungen durch die Gesellschafter­ver­samm­lung un­ter­lie­gen. Es besteht mithin kein Un­ter­schied zu anderen Geschäfts­führern außer­halb der „Freien Berufe“ in ver­gleich­baren Fällen, die durch das Bun­des­so­zial­ge­richt ent­schie­den wurden.

2.Rentenversicherungspflicht des gewerbetreibenden Komman­di­tisten bei Eintrag der
Personengesellschaft in die Handwerksrolle

Das zweite Urteil des Bundessozialgerichts5 behandelt die Versicherungs­pflicht und Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung eines selbst­ständig tätigen Gewerbetreibenden in einem Handwerksbetrieb. Im kon­kre­ten Fall ging es um einen Be­triebs­leiter einer GmbH & Co. KG, der als selbst­ständiger Tischler tätig und in die Handwerksrolle eingetragen war. Die Frage war, ob dieser Betriebsleiter aufgrund seiner Selbständigkeit und seiner Stellung als Ge­sell­schaf­ter und Kommanditist renten­ver­siche­rungs­pflich­tig ist.

RV-Pflicht für selbständige Handwerker

Die Rentenversicherung stellte fest, dass der Kläger versiche­rungs­pflichtig in der gesetz­lichen Renten­ver­siche­rung ist, da er als selbstständig tätiger Hand­wer­ker agierte und in die Hand­werks­rolle eingetragen war. Auch wenn der Klä­ger die Geschicke der Ge­sell­schaft maßgeblich lenken konnte, änderte dies nichts an der Beurteilung der Ren­ten­ver­si­che­rungspflicht. Die Eintra­gung in die Hand­werks­rolle führte dazu, dass er den Bei­trags­­re­­ge­­lun­gen der ge­setz­lichen Renten­versiche­rung unterlag.

Eintragung in Hand-werksrolle hat Tat-bestandswirkung

Das Gericht folgte dieser Auffassung und stellte fest, dass die Eintragung in die Handwerksrolle ent­schei­dend für die Versicherungs­pflicht in der gesetzlichen Renten­ver­siche­rung nach § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI ist. Die Eintra­gun­gen in die Hand­werks­rolle haben für die Ver­siche­rungs­trä­ger grundsätzlich Tat­bestands­wir­kung 6.

Auch wenn der Kläger 100 Prozent der Ge­schäfts­anteile der Komplementär-GmbH hält und maßgeblich Einfluss auf die GmbH & Co. KG hat, führt seine Ein­tra­gung in die Hand­werks­rolle zur Renten­ver­siche­rungspflicht. Es spielt keine Rolle, dass der Kläger als Kom­man­ditist der GmbH & Co. KG nicht zur Mit­arbeit ver­pflich­tet ist7. Eine sozial­ver­sicherungs­recht­lich relevante „Tä­tig­keit“ liegt vor, weil der Kläger die selbstän­dige hand­werk­liche Er­werbs­tä­tig­keit als handwerks­recht­lich befähigter Betriebs­leiter der GmbH & Co. KG tat­säch­lich aus­übt.

Somit wurden die Bescheide der Renten­ver­siche­rung über die Bei­trags­pflicht bestätigt.

Der Kläger ist Gesellschafter der GmbH & Co. KG und führt den Betrieb zu­gleich als hand­werks­recht­lich befähigter Be­triebs­leiter. Damit erfüllt er in sei­ner Person die Voraus­setzun­gen für die Ein­tra­gung in die Hand­werks­rolle


Fußnoten anzeigen


  1.  ]Vgl. Skript zum Seminar Arbeitslohn 2024 S. 11ff.
  2.  ]BSG, Urteil v. 28.6.2022 B 12 R 4/20 R, juris.
  3.  ]Vgl. Skript zum Seminar Arbeitslohn 2024 S. 12.
  4.  ]Vgl. BSG, Urteil v. 4.6.2019 B 12 R 11/18 R zu den „Honorarärzten“; vgl. Skript zum Seminar Ar­beits­lohn 2024 S. 20.
  5.  ]BSG, Urteil v. 23.4.2024 B 12 R 2/22 R.
  6.  ]BSG, Urteil v. 15.6.2020 B 12 RJ 4/99 R, juris.
  7.  ]Vgl. zur bloßen Wahrnehmung einer gesellschaftsrechtlich eingeräumten Stellung BSG, Urteil v. 29.2.2012 B 12 KR 4/10 R, BeckRS 2012 S. 72384 Rz. 14.