- Gericht / Az:
- BFH, Urteil vom 28.9.2021 VIII R 2/19
- Fundstelle:
- DStR 2022 S. 38
- Gesetz:
- § 34 Abs. 3 EStG
- Streitfrage:
-
Wann gilt die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG als verbraucht?
Tarifermäßigung
Die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG ist antragsgebunden und nur einmal im Leben zu gewähren. Sie gilt ausschließlich für Veräußerungsgewinne i. S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Außerdem sind die persönlichen Voraussetzungen zu beachten (Vollendung des 55. Lebensjahres oder dauernde Berufsunfähigkeit).
Gewährung durch Finanzamt zu Unrecht und ohne Antrag
Im Streitfall hatte das Finanzamt die Tarifermäßigung in einem bereits bestandskräftigen Veranlagungszeitraum gewährt. Es lag weder ein Antrag des Steuerpflichtigen noch ein begünstigter Veräußerungsgewinn vor. Ein Einspruch wurde damals nicht eingelegt. Es stellte sich die Frage, ob die Steuervergünstigung nun als „verbraucht“ anzusehen ist oder ob sie in einem anderen Veranlagungszeitraum (nochmals) in Anspruch genommen werden kann.
Verbrauch ist eingetreten
Steuerpflichtiger muss tätig werden
Der BFH verneint eine erneute Gewährung. Die Steuervergünstigung gilt auch dann als „verbraucht“, wenn sie zu Unrecht gewährt wurde. Wenn der Steuerpflichtige sich die Möglichkeit vorbehalten will, die Vergünstigung in einem späteren Jahr in Anspruch zu nehmen, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist. Aus dem drohenden Verbrauch einer Steuervergünstigung ergibt sich auch die Beschwer nach § 350 AO1.
Praxishinweis
Kommt es zu einer niedrigeren Steuer als erwartet, ist Passivität fehl am Platz. Es gilt zu prüfen, worauf die Differenz beruht und ob ein ungewünschter Verbrauch einer Steuervergünstigung droht. Die mit der Bescheidprüfung beauftragten Mitarbeiter sollten mit der Problematik vertraut sein.
Auf ein „verbrauchsfähiges Objekt“ kommt es nicht an
Die Entscheidung steht im Einklang bisheriger Rechtsprechung, auch zum Verbrauch des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG2. Erstmalig geklärt wurde nun, dass der Verbrauch auch dann eintritt, wenn im Veranlagungszeitraum gar kein verbrauchsfähiges „Objekt“, d. h. ein Veräußerungsgewinn nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG, vorliegt.
Ausweg: Geringe Auswirkung und fehlende Erläuterung
Anderes kann nur dann gelten, wenn für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das Finanzamt die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat3. Ein solcher Fall wurde vom BFH z. B. bejaht, als eine rechtswidrig gewährte Steuervergünstigung in einem Betrag von (damals) 1.271 DM „versteckt“ war und die Abweichung vom Finanzamt nicht erläutert wurde4. Im Großteil der Fälle wird eine Bezugnahme auf diese Rechtsprechung jedoch nicht zum Erfolg führen, weil entweder ein (ggf. allgemeiner) Erläuterungstext vorhanden ist oder die Gewährung einer Vergünstigung sich anderweitig aus dem Bescheid ergibt.
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 8.3.1994 IX R 12/90, BFH/NV 1994 S. 785, Rz. 14; Lauer/Dürr, GWR 2022 S. 55.
- [ ↑ ]BFH, Beschluss v. 1.12.2015 X B 111/15, BFH/NV 2016 S. 199; Urteil v. 21.7.2009 X R 2/09, BStBl 2009 II S. 963.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 28.9.2021 VIII R 2/19, DStR 2022 S. 38, Rz. 17.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 15.5.2002 X R 97/98, BFH/NV 2002 S. 1428.