- Gesetz:
- §§ 145 ff. AO
- Problemstellung:
-
Sind Verfahrensdokumentationen notwendig?
Unsicherheit in der Praxis
Die Verfahrensdokumentation ist seit Jahren ein Streitpunkt und sorgt in der Praxis regelmäßig für Diskussionen. Muss ich eine Verfahrensdokumentation erstellen? Wie hat diese auszusehen? Was passiert, wenn mein Mandant keine besitzt?
Definition
Die Finanzverwaltung definiert die Verfahrensdokumentation dabei als Beschreibung „… der organisatorisch und technisch gewollten Prozesse, z. B. bei elektronischen Dokumenten von der Entstehung der Informationen über die Indizierung, Verarbeitung und Speicherung, dem eindeutigen Wiederfinden und der maschinellen Auswertbarkeit, der Absicherung gegen Verlust und Verfälschung und der Reproduktion.“1
Kurzgefasst ist die Verfahrensdokumentation damit eine Folge der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung der Buchführung. In ihr sollen die Prozesse der Dateneingabe, Datenverarbeitung, Datenspeicherung und Datenauswertung nachvollziehbar niedergeschrieben werden. Dabei ist jeder digitale Prozess getrennt darstellen. So sind - der Verwaltungsauffassung folgend - beispielsweise in einem Gastronomiebetrieb mit papierloser Belegablege wenigstens drei Verfahrensdokumentationen notwendig, nämlich
Position der Verwaltung und vorhandene Muster
Verwaltung: Pflicht zur Verfahrens-dokumentation
Die Position der Verwaltung zum Thema Verfahrensdokumentation lässt sich verkürzt wie folgt zusammenfassen: Wer ein (elektronisches) Datenverarbeitungssystem (DV-System) nutzt, muss2 eine Verfahrensdokumentation anfertigen. Andernfalls kommt es zu Hinzuschätzungen. Genauer gesagt hat sich der Verwaltung in Rz. 151 des sog. GoBD-Erlasses3 wie folgt positioniert4: „Da sich die Ordnungsmäßigkeit neben den elektronischen Büchern und sonst erforderlichen Aufzeichnungen auch auf die damit in Zusammenhang stehenden Verfahren und Bereiche des DV-Systems bezieht […], muss für jedes DV-System eine übersichtlich gegliederte Verfahrensdokumentation vorhanden sein, aus der Inhalt, Aufbau, Ablauf und Ergebnisse des DV-Verfahrens vollständig und schlüssig ersichtlich sind. Der Umfang der im Einzelfall erforderlichen Dokumentation wird dadurch bestimmt, was zum Verständnis des DV-Verfahrens, der Bücher und Aufzeichnungen sowie der aufbewahrten Unterlagen notwendig ist. Die Verfahrensdokumentation muss verständlich und damit für einen sachverständigen Dritten in angemessener Zeit nachprüfbar sein. Die konkrete Ausgestaltung der Verfahrensdokumentation ist abhängig von der Komplexität und Diversifikation der Geschäftstätigkeit und der Organisationsstruktur sowie des eingesetzten DV-Systems.“
Keine Aussage zur Form
Die Formulierung ist eindeutig dahingehend, dass eine Verfahrensdokumentation nach Ansicht der Verwaltung vorhanden sein muss5. Unklar ist deren Form. Die Verwaltung hat sich hierzu noch nicht näher geäußert, sodass Drittparteien diverse Muster von Verfahrensdokumentationen veröffentlicht haben, bei denen jedoch keine Gewähr auf Richtigkeit und Vollständigkeit besteht.
Muster für die Praxis
Ein nach unserer Auffassung sehr nützliches Muster hat der DStV e. V. auf seiner Homepage veröffentlicht6. Genauer gesagt finden sich dort mehrere Verfahrensdokumentationen, allen voran eine zum belegersetzenden Scannen und eine zur Belegablage. Zwei in der Praxis doch relativ simple und häufig vorkommende Prozesse, deren Dokumentation in den Musterdokumenten doch insgesamt mehr als 65 DIN-A4 Seiten in Anspruch nimmt! Selbst wenn im Betrieb kein belegersetzendes Scannen stattfindet, umfasst allein die Musterdokumentation zur Belegablage - und dies betrifft wohl jeden Betrieb - über 45 Seiten. Diese Muster müssen bei Verwendung umfassend angepasst werden, sodass ein simples Kopieren nicht ausreicht.
Individualisierung notwendig
Für den steuerlichen Berater bedeutet die o. g. Verwaltungsaussage, dass er bei jedem betrieblichen Mandanten eine umfassende Verfahrensdokumentation - individuell angepasst - anfertigen müsste, zumindest nach Ansicht der Verwaltung. Die Zeit, die dieser Prozess in Anspruch nimmt, ist nicht unerheblich. Diese Zeit kann man nun - betriebswirtschaftlich als Berater gedacht - als neues Umsatzfeld betrachten, vorausgesetzt, der Mandant ist bereit, den Aufwand zu akzeptieren und zu entlohnen. Dass dies inzwischen gängige Praxis ist, lässt sich exemplarisch auch daran erkennen, dass das Mandanten-Merkblatt zum Thema Verfahrensdokumentation praktisch seit seiner Erstellung zu den Top 5 Merkblättern des Deubner-Verlags zählt. Das Fazit (passenderweise unter dem Stichwort „Sanktionen“) in diesem Merkblatt lautet7 „… dass man sich keinesfalls darauf verlassen sollte, auch ohne Verfahrensdokumentation ‚irgendwie durchzukommen‘. … Wir stehen Ihnen gerne für weitere Fragen zur Verfügung.“
Praxis: Umsatzfeld wird erkannt und genutzt
Wenn der Mandant dieses - oder ein vergleichbares - Merkblatt von seinem Berater erhält (und auch durchliest), wird jener verunsichert sein und sich die Frage stellen, ob er eine Verfahrensdokumentation benötigt. Die Folge wird eine Rückfrage beim Berater sein, der nun wahrscheinlich im Auftrag des Mandanten eine solche Dokumentation anfertigen soll. Damit wäre das Umsatzfeld erschlossen, wobei sich weiterhin die Frage stellt, wie denn nun der Inhalt der Verfahrensdokumentation auszusehen hat.
Kostenpflichtige Drittanbieter drängen auf den Markt
Und für den Fall, dass der Berater die Verfahrensdokumentation nicht anfertigt oder das geforderte Honorar dem Mandanten als zu hoch erscheint, ist die Lösung des Problems scheinbar nur einen Mausklick entfernt. Diverse Internet-Plattformen bieten inzwischen - üblicherweise käuflich - Vorlagen zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation an. Sie sind beispielsweise Gastwirt und suchen eine entsprechende Vorlage? Kein Problem, für rund 250 € steht diese zur Verfügung8. Oder Sie sind Berater und suchen Vorlage, die Ihnen selbst bei der Erstellung einer Verfahrensdokumentation für Ihre Mandanten erleichtert? Auch hierfür findet sich, für rund 800 €9 (zzgl. Umsatzsteuer versteht sich), die passende Lösung in Form von rund 560 Seiten Dokumentenvorlagen. Die Frage, ob Sie als Berater wirklich 560 Seiten durcharbeiten möchten, lassen wir dabei mal nun außer Betracht.
Auch käufliche Muster müssen angepasst werden
Der Nachteil solcher käuflichen Muster ist jedoch derselbe, wie bei der o. g. kostenfreien Muster-Verfahrensdokumentation: Es sind Muster bzw. Dokumentenvorlagen, die ich als Unternehmer umfangreich auszufüllen und anzupassen habe. Ein nicht zu unterschätzender Zeitaufwand.
Beraterschaft selbst als Umsatzfeld
Vor dem Spiel mit der Angst vor einer Hinzuschätzung, die durch entsprechende Musterschreiben auf Seiten der Mandanten ausgelöst wird, sind aber auch die Steuerberater selbst nicht gefeit. So wird in Werbeaussagen von Dienstleistern der Beraterschaft letztlich auch darüber informiert, dass Mandanten evtl. Hinzuschätzungen drohen. Die Lösung seien standardisierte Musterschreiben an die Mandanten, welche entgeltlich erworben werden können. Damit wäre auch für die Dienstleister der Beraterschaft wie z. B. Schulungsunternehmen das Umsatzfeld der Verfahrensdokumentation erschlossen. Wir als Neufang Akademie wehren uns jedoch gegen eine solche Panikmache und werden uns auch in Zukunft nicht an einer solchen beteiligen.
Entschärfung durch Verwaltung nicht absehbar
Auch in naher Zukunft scheint die Finanzverwaltung wohl nicht vom Erfordernis der Verfahrensdokumentation abweichen zu wollen. So liegt gegenwärtig mit Datum vom 5.10.2018 ein neuer und vorläufiger Entwurf des GoBD-Erlasses vor10. Darin hält die Finanzverwaltung an der o. g. Pflicht zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation fest.
Gesetzliche Lage
Im Gesetz keine klare Forderung zur Verfahrens-dokumentation
Interessanterweise wurde bei der bisher dargestellten Betrachtung eines vollkommen ignoriert: das Gesetz. Die Finanzverwaltung fordert im o. g. Schreiben zwar eindeutig die Verfahrensdokumentation, doch seit wann haben Verwaltungsanweisungen denn Normencharakter11? In Deutschland gilt immer noch das Prinzip des Gesetzesvorbehalts12.
Begründung über § 147 AO abwegig
Teilweise wird die Verfahrensdokumentation dabei als Teil der Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen i. S. des § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO betrachtet15, was nicht zutreffend sein kann, denn § 147 AO erfordert zwar das Aufbewahren von Unterlagen, jedoch nicht deren Erstellung. Aus dieser Vorschrift kann somit nicht abgeleitet werden, dass eine Pflicht zur Erstellung der Verfahrensdokumentation besteht.
Pflicht nur über § 145 AO begründbar
Andere Autoren16 leiten die Pflicht zur Erstellung der Verfahrensdokumentation aus § 145 Abs. 1 Satz 1 AO ab. Im Gesetz heißt es: „Die Buchführung muss so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann.“. Damit würde die Verfahrensdokumentation also letztlich der Nachvollziehbarkeit der Buchführung dienen. Umgekehrt betrachtet führt dies aber zu folgendem wichtigen Grundsatz: Ist eine Buchführung auch ohne Verfahrensdokumentation nachvollziehbar, so ist eine Verfahrensdokumentation nicht notwendig.
Verwaltung stimmt dem grundsätzlich zu
Dem Grunde nach stimmt die Verwaltung in Rz. 155 des GoBD-Erlasses17 dieser Auffassung zu und führt darin aus: „Soweit eine fehlende oder ungenügende Verfahrensdokumentation die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit nicht beeinträchtigt, liegt kein formeller Mangel mit sachlichem Gewicht vor, der zum Verwerfen der Buchführung führen kann.“
Reaktion in der Praxis bei Betriebs-prüfungen
Sollte ein Betriebsprüfer daher mit der Verwerfung des Buchhaltungsergebnisses in Hinblick auf die fehlende Verfahrensdokumentation drohen, sollte mit folgender Gegenfrage reagiert werden: Welcher Prozess der Buchführung ist den für den Prüfer - als fachkundiger Dritter - konkret nicht nachvollziehbar?
Was sagt die Rechtsprechung?
Keine einschlägige Rechtsprechung vorhanden
Die Rechtsprechung hatte im Hinblick auf das Thema Verfahrensdokumentation noch keine Gelegenheit zur Positionierung. Soweit ersichtlich, sind insgesamt nur vier Finanzgerichtsurteile auffindbar, bei denen überhaupt die Thematik der Verfahrensdokumentation aufgegriffen wurde18. Diese beschäftigten sich alle mit der Thematik der Kassenführung. In den Fällen drohte Hinzuschätzungen. Grundlage hierfür waren immer schwere formelle Mängel, zumeist das Fehlen von Programmierprotokollen19. Dieser Mangel allein berechtigt bereits zur Hinzuschätzung. Dass zusätzlich eine Verfahrensdokumentation nicht vorhanden war, blieb somit ohne Folgen.
Damit bleibt festzuhalten: Es ist bislang kein Urteil ersichtlich, bei dem aus dem Fehlen einer Verfahrensdokumentation eine Hinzuschätzung abgeleitet wurde. Auch weiterhin wird zu erwarten sein, dass der Grund für eine Hinzuschätzung nicht das Fehlen einer Verfahrensdokumentation sein wird. Die Rechtsprechung hat noch in keinem Urteil eine Pflicht zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation gesehen, was sich letztlich mit der zuvor vertretenen Auffassung deckt, dass die Verfahrensdokumentation nur zur Nachvollziehbarkeit der Buchführung i. S. des § 145 Abs. 1 Satz 1 AO dient und damit i. d. Regel entbehrlich ist.
Fazit - Was ist in der Praxis zu tun?
Zusammenfassung
Nach der dargestellten Auffassung ist u. E. folgendes festzustellen:
Keine gesetzliche Pflicht zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation
Hinzuschätzung aufgrund der Verfahrensdokumentation unwahrscheinlich
Fazit
Man kann das Thema auch mit einem alten Sprichwort zusammenfassen: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.11.2014 IV A 4-S 0316/13/10003, BStBl 2014 I S. 1450, Rz. 152.
- [ ↑ ]Zur Ausnahme, auch nach Ansicht der Verwaltung, vgl. Tz. 2.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.11.2014 IV A 4-S 0316/13/10003, BStBl 2014 I S. 1450.
- [ ↑ ]Hervorhebungen im Text sind durch den Autor vorgenommen; […] sind Auslassungen des Zitates ohne Sinnverfälschung.
- [ ↑ ]Zur Ausnahme, auch nach Ansicht der Verwaltung, vgl. Tz. 2; die Finanzverwaltung fordert des Weiteren eine Historisierung, d. h. Änderungen müssen zeitlich nachvollziehbar dargestellt werden.
- [ ↑ ]Quelle: https://www.dstv.de/fuer-die-praxis/arbeitshilfen-praxistipps (Stand: 20.2.2019).
- [ ↑ ][…] sind Auslassungen des Zitates ohne Sinnverfälschung.
- [ ↑ ]Quelle: https://verfahrensdoku.shop/pakete/branchenpakete/gastronomie (Stand 20.2.2019).
- [ ↑ ]Quelle: https://verfahrensdoku.shop/pakete/branchenpakete/steuerberater-kompendium (Stand 20.2.2019).
- [ ↑ ]Vgl. dazu ausführlich Teutemacher, BBK 2018 S. 1049; Entwurfsschreiben ist beispielsweise abrufbar unter https://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/760777/ (Stand 20.2.2019).
- [ ↑ ]Selbstredend besteht kein Rechtsnormcharakter bei einem BMF-Schreiben, vgl. beispielhaft BFH, Urteil v. 16.12.2014 X R 42/13, DStR 2015 S. 892.
- [ ↑ ]Beispielhaft BFH, Beschluss v. 28.11.2016 GrS 1/15, BStBl 2017 II S. 393.
- [ ↑ ]Brete, DStR 2019 S. 258.
- [ ↑ ]Beispielhaft Henn, DB 2016 S. 254; Teutemacher BBK 2018 S. 20.
- [ ↑ ]Henn, DB 2016 S. 254.
- [ ↑ ]Beispielhaft Hruschka, DStR 2018 S. 260 als Anmerkung zum Aufsatz von Brete, DStR 2018 S. 258.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.11.2014 IV A 4-S 0316/13/10003, BStBl 2014 I S. 1450.
- [ ↑ ]FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 13.12.2918 7 V 7137/18, juris; FG Köln, Urteil v. 6.6.2018 15 V 754/18, EFG 2018 S. 1688; FG Münster, Urteil v. 29.3.2017 7 K 3675/13 E, G, U, EFG 2017 S. 846; FG Hamburg, Urteil v. 17.9.2015 2 K 253/14, DStRE 2016 S. 1066.
- [ ↑ ]Dies ist nach BFH, Urteil v. 25.3.2015 X R 20/13, BStBl 2015 II S. 743 ein schwerer formeller Mangel, der zur Hinzuschätzung berechtigt.
- [ ↑ ]Gemischte Kassenführung bedeutet, dass der Unternehmer im Betrieb sowohl eine elektronische als auch eine offene Ladenkasse parallel verwendet.