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Einheitliche Erstausbildung bei mehraktigen Aus­bil­dungen

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Gericht / Az:
BFH, Urteil vom 11.4.2018 III R 18/17
Fundstelle:
BFH/NV 2018 S. 885
Gesetz:
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
Streitfrage:
Unter welchen Voraussetzungen liegt eine einheitliche Erst­aus­bil­dung vor?

20-Stunden-Grenze ist bei Zweitaus­bil­dung zu beachten

Während einer Erstausbildung/-studium ist ein Kind grundsätzlich berücksichti­gungs­fähig, wenn es die Altersgrenze noch nicht überschritten hat. Wenn das Kind sein persönliches Ausbildungsziel erreicht hat und sich in einer Zweit­aus­bildung befindet, ist eine Erwerbstätigkeits­prü­fung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durchzuführen1. Das Kind ist in diesem Fall nur noch berücksich­ti­gungs­fähig, wenn es keiner die Ausbildung hin­dern­den (schädlichen) Er­werbs­tä­tig­keit nachgeht2. Hierzu ist die 20-Stun­den-Grenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu prüfen.

Prüfen Sie im 1. Prüfungsschritt, ob das Kind überhaupt einer Berufsausbil­dung oder einem Studium i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG nachgeht. Erst danach ist im 2. Schritt entscheidend, ob eine Erst- oder Zweitausbildung vorliegt. Es gelten somit folgende Grundsätze:

Persönliches Be­rufsziel alleine ent­scheidend für Erst­ausbildung

Die Erstausbildung ist auch dann nicht abgeschlossen, wenn ein Kind meh­re­re Ausbildungsteile (z. B. Ausbildung, Bachelor- und Masterstudium) nach ob­jek­tiven Beweisanzeichen in sich verbunden für sein angestrebtes Be­rufsziel ver­folgt3. Dies ist der Fall, wenn die Ausbildungsabschnitte integra­tiver Be­stand­­teil einer einheitlichen Erstausbildung sind. Hierzu ist ein enger zeit­licher und sachlicher Zusammenhang (z. B. dieselbe Berufssparte, dersel­be fach­liche Bereich) erforderlich. Dies ist bei einem sog. konsekutiven Master­stu­dium der Fall4.

Mehraktige Aus­bil­dungsgänge

Bei mehraktigen Ausbildungsgängen liegt eine einheitliche Erstausbildung vor, wenn zwischen den einzelnen Ausbildungs­abschnitten ein enger zeit­licher und sachlicher Zusammenhang (z. B. dieselbe Berufssparte, dersel­be fach­liche Be­reich) besteht5.

Bei zeitlicher Zäsur liegt keine Erstaus­bildung vor

Setzt ein Kind nach Beendigung der Ausbildung zur Steuer­fachangestellten seine Berufsausbildung mit den weiterführen­den Berufszielen „Staatlich ge­prüf­ter Betriebswirt“ und „Steu­erfachwirt“ nicht zum nächstmöglichen Zeitpunkt fort, liegt keine einheitliche Erstausbildung vor. Es fehlt am engen zeitlichen Zu­sam­menhang.

An einem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang fehlt es u. a. dann, wenn das Kind nach Erlangung des ersten berufsqualifizierenden Abschlusses den weiteren Ausbildungsabschnitt nicht mit der gebotenen Zielstrebigkeit auf­nimmt, obwohl es diesen früher hätte beginnen können6.

Die FG-Rechtsprechung hatte in jüngster Zeit weitere Fälle zu den mehr­akti­gen Ausbildungsgängen entschieden. Hier ein kurzer Überblick:

1.Ausbildung Steuerfachgehilfe und Steuerfachwirt

Ausbildung Steuer­fach­ge­hilfe und Steuer­fachwirt

Der enge zeitliche Zusammenhang ist bei einer Ausbildung zum Steuerfach­ge­hilfen und der Weiterbildung zum Steuerfachwirt nicht eingehalten, wenn die Unterbre­chung (mit zwischenzeitlicher Vollzeit-Erwerbstätigkeit als Steuer­fach­ange­stell­te) bis zum zweiten „Ausbildungsabschnitt“ zwei Jahre be­trägt7. Die zwischenzeitliche Berufstätigkeit bei einem Steuerberater begründet we­gen des nicht im Vordergrund stehenden Ausbildungscharakters kein Aus­bil­dungs­dienstverhältnis.

2.Ausbildung Steuerfachgehilfe und Bachelorstudium Steuerrecht

Ausbildung Steuer­fach­gehilfe und Ba­che­lor­studium im Steuer­recht

Ein im Anschluss an die Ausbildung zum Steuerfachgehilfen aufgenommenes Ba­chelor-Studium im Steuerrecht stellt einen integrativen Bestandteil der erst­ma­ligen Berufsausbildung dar, weil der zeitliche und sachliche Zusammen­hang gewahrt ist8. Das Revisionsverfahren (Az. III R 8/18) ist an­hängig. Nach Ansicht des BFH liegt keine einheitliche Erstausbildung vor, wenn die weiteren Ausbildungsmaßnahmen als eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen9.

3.Ausbildung Steuerfachangestellter und Fachschule für Wirtschaft

Ausbildung Steuer­fach­an­ge­stell­ter und Be­such einer Fach­schule für Wirt­schaft

Der im Anschluss an eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten erfolgte Be­such einer Fachschule für Wirtschaft neben einer Vollzeitbeschäftigung im Aus­bil­dungsberuf ist nicht der zweite Teil einer mehraktigen Be­rufs­aus­bildung10. Eine praktische Berufstätigkeit in einem bereits erlernten Beruf, die eine zwingende Voraussetzung für den Abschluss einer weiteren Ausbildung dar­stellt (berufspraktische Erfahrung), ist keine Berufsausbildung und auf­grund dieser zeitlichen Zäsur liegt eine Zweitausbildung vor. Auch hier sind die Re­visionsverfahren (Az. III R 18/17 und III R 47/17) an­hängig.

4.Studium Diplom-Finanzwirt und M.A. in Taxation

Studium Diplom-Fi­nanzwirt und M.A. in Taxation

Die Ausbildung zum Diplom-Finanzwirt und ein nachfolgender Studiengang zum „Master of Arts in Taxation“, der zugleich der Vorbereitung auf die Steuer­be­raterprüfung dient, sind keine einheitliche erstmalige Berufs­aus­bildung. Die Zulassung zu der mit dem Masterstudiengang angestrebten Steuerberater­prü­fung erfordert eine berufspraktische Tätigkeit von drei Jahren. Dieses Zu­las­sungserfordernis führt dazu, dass jedenfalls die Steuerberaterprüfung nicht mehr als Teil einer mit dem Studium als Diplom-Finanzwirt begonnenen ein­heit­lichen Erstausbildung anzusehen ist11.

5.Ausbildung Steuerfachangestellter und Berufsziel Steuerberater

Ausbildung Steuer­fach­an­ge­stellter und Berufsziel Steuer­be­rater

Mit dem Bestehen der Prüfung zum Steuerfachangestellten ist eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen, wenn das Kind von Anfang an das Be­rufs­ziel Steuerberater hat und knapp vier Jahre später eine Ausbildung zum Steu­er­fach­wirt abschließt und eine Zulassung zur Steuerberaterprüfung frühestens sieben Jahre nach dem Abschluss als Steuerfachangestellter möglich ist12. Das Revisionsverfahren (Az. III R 43/17) ist an­hängig.

6.Banklehre und Studium zum Sparkassenfachwirt

Banklehre und Stu­dium zum Spar­kas­senfachwirt

Ein nach Abschluss einer Banklehre aufgenommenes Studium zum Spar­kas­sen­fach­wirt, das nebenberuflich ausgeübt wird, kann Teil einer mehraktigen Berufs­aus­bil­dung sein. Die Banklehre und das anschließende Studium sind als einheitliche mehr­akti­ge Berufsausbildung anzusehen. Das Studium baut in­halt­lich auf die Ausbildung auf und es handele sich um einen Abschluss, der eine Tätigkeit mit einem höheren Verantwortungs­spek­trum zu­lässt13.

7.Banklehre und Studium am Bankkolleg

Banklehre und Stu­dium am Bank­kolleg

Ein nach Abschluss einer Banklehre aufgenommenes Studium am Bank­kolleg, das nebenberuflich ausgeübt wird, kann Teil einer mehraktigen Berufs­aus­bil­dung sein. Abzustellen ist darauf, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zueinander stehen14. Das Re­vi­sions­ver­fahren (Az. III R 12/18) ist an­hängig.

8.Bachelor- und Masterstudium

Bei einem sog. konsekutiven Master­stu­dium ist ein enger zeit­licher und sachlicher Zusammenhang gegeben, so dass eine einheitliche Erstausbildung vorliegt15. Ein für eine mehraktige Ausbildung erforderlicher enger sachlicher Zu­sammenhang kann auch zwischen einem Masterstudium der Wirt­schafts­psychologie und einem zuvor absolvierten Bachelorstudium BWL-Dienst­leistungs­management bestehen, unbeschadet dessen, dass das Bachelor­stu­dium mit dem Bachelor of Arts, das Masterstudium hingegen mit dem Master of Science abgeschlossen wird16. Das Revisionsverfahren (Az. III R 26/18) ist vor dem BFH an­hängig.

Praxishinweise

Die Urteilsfälle lassen sich wie folgt zusammenfassen: Immer dann, wenn der zeitliche und sachliche Zusammenhang der einzelnen Ausbildungsab­schnit­te gewahrt ist, liegt eine einheitliche Erstausbildung vor, mit der Fol­ge, dass eine Erwerbstätigkeit des Kindes unschädlich ist. Ist für eine weitere Ausbildung eine praktische Berufstätigkeit eine zwingende Vor­aus­setzung, liegt eine zeit­liche Zäsur vor. Dies hat zur Folge, dass keine ein­heitliche Erstausbildung vor­liegt und das Kind während der praktischen Be­rufstätigkeit nicht berücksich­ti­gungsfähig ist. Bei der Zweitausbildung ist dann die 20-Stunden-Grenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu beachten17.
Wie bereits dargestellt, sind noch zahlreiche Revisionsverfahren vor dem BFH anhängig. In vergleichbaren Fällen sollten die Betroffenen gegen die Ab­lehnungsbescheide der Familienkasse unter Hinweis auf die BFH-Ver­fahren Einspruch einlegen und auf das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 AO kraft Gesetzes hinweisen.

Fußnoten anzeigen


  1.  ]BMF, Schreiben v. 8.2.2016 IV C 4 - S 2282/07/0001-01, BStBl 2016 I S. 226, Rz. 1.
  2.  ]BMF, Schreiben v. 8.2.2016 IV C 4 - S 2282/07/0001-01, BStBl 2016 I S. 226, Rz. 2.
  3.  ]BFH, Urteile v. 3.7.2014 III R 52/13, BStBl 2015 II S. 152; v. 15.4.2015 V R 27/14, BStBl 2016 II S. 163; v. 3.9.2015 VI R 9/15, BStBl 2016 II S. 166; v. 22.6.2016 V R 32/15, BFH/NV 2016 S. 1554.
  4.  ]BFH, Urteil v. 3.9.2015 VI R 9/15, BStBl 2016 II S. 166.
  5.  ]BMF, Schreiben v. 8.2.2016 IV C 4 - S 2282/07/0001-01, BStBl 2016 I S. 226, Rz. 12b, 16 und 17.
  6.  ]BFH, Urteil v. 15.4.2015 V R 27/14, BStBl 2016 II S. 163.
  7.  ]FG Düsseldorf, Urteil v. 11.1.2018 9 K 1541/17 Kg, juris.
  8.  ]FG Düsseldorf, Urteil v. 11.1.2018 9 K 994/17 Kg, juris (Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 8/18).
  9.  ]BFH, Urteil v. 17.1.2019 III R 8/18, juris.
  10.  ]FG Münster, Urteile v. 23.5.2017 1 K 2410/16 Kg, juris (Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 18/17); v. 23.5.2017 1 K 3050/16 Kg, juris (Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 47/17).
  11.  ]FG Münster, Urteil v. 24.5.2018 10 K 768/17 Kg, juris.
  12.  ]FG des Saarlandes, Urteil v. 15.2.2017 2 K 1290/16, juris (Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 43/17).
  13.  ]FG Münster, Urteil v. 14.5.2018 13 K 1161/17, juris.
  14.  ]Niedersächsisches FG, Urteile v. 13.11.2017 1 K 115/17, juris (Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 17/18); v. 6.2.2018 13 K 171/17, juris (Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 12/18).
  15.  ]BFH, Urteil v. 3.9.2015 VI R 9/15, BStBl 2016 II S. 166.
  16.  ]FG Baden-Württemberg, Urteil v. 16.1.2018 6 K 3796/16, juris (Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 26/18).
  17.  ]BMF, Schreiben v. 8.2.2016 IV C 4 - S 2282/07/0001-01, BStBl 2016 I S. 226, Rz. 1.

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