Nach Auffassung des IX. Senats des Bundesfinanzhofs begegnet die Zinshöhe in § 233a AO in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO durch ihre realitätsferne Bemessung verfassungsrechtlichen Zweifeln. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO überschreite angesichts einer zu dieser Zeit bereits eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße. Dem könne nicht entgegen gehalten werden, dass bei Kreditkartenkrediten für private Haushalte Zinssätze von rund 14 % oder bei Girokontenüberziehungen Zinssätze von rund 9 % p. a. anfallen würden.
Verwaltung gewährt AdV auf Antrag
Zu dieser Thematik hat sich nun das BMF mit Schreiben vom 14.6.20183 geäußert. Demnach gewährt die Finanzverwaltung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2015 (aber nur!) auf Antrag Aussetzung der Vollziehung, wenn Einspruch gegen die Zinsfestsetzung eingelegt wurde. Unerheblich ist dabei, zu welcher Steuerart und für welchen Besteuerungszeitraum die Zinsen festgesetzt wurden.
Ausdrücklich betont die Verwaltung jedoch, dass aus ihrer Sicht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe bestehen. Angesichts der bisherigen Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Verzinsungsregelung4 ist ungewiss, ob das Bundesverfassungsgericht in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 den Zinssatz von 0,5 % p. a. respektive 6 % p. a. bei einer neuerlichen Prüfung unter Berücksichtigung der weiteren Marktzinsentwicklung in den letzten Jahren nun als verfassungswidrig einstufen wird.
Praxishinweis
Einspruch sinnvoll, AdV nicht in allen Fällen
Wir empfehlen, gegen die Zinsfestsetzungen gegenwärtig Einspruch einzulegen, da nur schwerlich absehbar ist, wie dieses Thema letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden wird. Ob auch die Aussetzung der Vollziehung beantragt wird, ist letztlich eine individuelle Entscheidung. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die dem Gesetzgeber i. d. Regel einen sehr weiten Ermessensspielraum zubilligt, sind wir von der Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe nicht überzeugt.
Keine Auswirkung auf Zeiträume vor 1.4.2015
Für Verzinsungszeiträume vor dem 1.4.2015 ist Aussetzung der Vollziehung nach § 361 Abs. 2 Satz 2 AO nur zu gewähren, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte und im Einzelfall ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers zu bejahen ist5.
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BerP 2018 S. 329; Newsletter 8/2018.
- [ ↑ ]BFH, Beschluss v. 25.4.2018 IX B 21/18, DStR 2018 S. 1020.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.6.2018 IV A 3-S 0465/18/10005-01, juris.
- [ ↑ ]BVerfG, Beschlüsse vom 3.9.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009 S. 2115; v. 3.9.2009 1 BvR 1098/08, HFR 2010 S. 66.
- [ ↑ ]Vgl. BFH, Beschlüsse v. 21.11.2013 II B 46/13, BStBl 2014 II S. 263; v. 27.8.2002 XI B 94/02, BStBl 2003 II S. 18; v. 20.7.1990 III B 144/89, BStBl 1991 II S. 104; v. 20.5.1992 III B 100/91, BStBl 1992 II S. 729.