- Gericht / Az:
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BSG, Urteile vom 28.6.2022 B 12 R 4/20 R, 23.4.2024 B 12 R 2/22 R
- Fundstelle:
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juris
- Gesetz:
- § 7 SGB IV; § 2 SGB VI
- Streitfrage:
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Sozialversicherungspflicht trotz selbständiger Tätigkeit?
Rechtsform und Berufsbild sind für die sv-rechtliche Beurteilung relevant
Im Sozialversicherungsrecht gibt es zahlreiche Faktoren, die darüber entscheiden, ob eine Person sozialversicherungspflichtig ist oder nicht1. Dabei spielen sowohl die Rechtsform eines Unternehmens als auch das zugrunde liegende Berufsbild eine wesentliche Rolle. Während bei Kapitalgesellschaften, wie der GmbH, das Berufsbild i. d. Regel nicht relevant ist, kann es bei Personengesellschaften einen entscheidenden Einfluss auf die Versicherungspflicht haben. In der rechtlichen Praxis wird dieser Unterschied immer wieder geprüft und bestätigt. Im Folgenden werden zwei aktuelle Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vorgestellt, die diese Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Sie zeigen, wie sich die rechtliche Bewertung im Spannungsfeld zwischen Gesellschaftsform und Berufsrecht gestaltet.
Seminar Arbeitslohn 2025
Weitere Fälle sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung stellen wir im Seminar Arbeitslohn 2025 dar. Das Seminar findet an folgenden Terminen statt:
1. | Sozialversicherungspflicht in einer Rechtsanwalts-GmbH |
Auch in einer Rechtsanwalts-GmbH kann SV-Pflicht bestehen
Nachdem sich das BSG bereits in den Jahren 2019 und 2021 umfassend mit dem sozialversicherungsrechtlichen Status von Honorar-, Not- und Vertretungsärzten beschäftigt und in einer ganzen Reihe von Urteilen die sozialversicherungsrechtliche Bewertung von Geschäftsführern beleuchtet hat, erging im vergangenen Jahr eine Entscheidung zum Status von Rechtsanwälten, die Gesellschafter-Geschäftsführer in einer Anwalts-GmbH sind. Das BSG bleibt auch hier seiner Linie treu.
BSG bestätigt die Rechtsauffassung der DRV
Rechtsanwälte, die als Gesellschafter-Geschäftsführer einer Rechtsanwaltsgesellschaft tätig sind, können aufgrund abhängiger Beschäftigung sozialversicherungspflichtig sein. Dies ist nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil Rechtsanwälte unabhängige Organe der Rechtspflege sind, so das BSG in diesem aktuellen Urteil, welches damit die Rechtsauffassung der DRV Clearingstelle in einem Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV bestätigte.
Rechtsmacht ist entscheidend
Auch bei Rechtsanwaltsgesellschaften kommt es, ebenso wie bei allen anderen Gesellschaften mit beschränkter Haftung, für die Frage der Sozialversicherungspflicht aufgrund Beschäftigung der Gesellschafter-Geschäftsführer darauf an, ob sie über die gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht verfügen, die Geschicke des Unternehmens zu bestimmen.
Urteilsfall
In dem zu entscheidenden Fall haben sich mehrere Rechtsanwälte zur gemeinsamen Berufsausübung zusammengeschlossen und sich in einer GmbH organisiert. Alle Rechtsanwälte wurden zu Geschäftsführern bestellt. Sie verfügten über eine identische Anzahl von Gesellschaftsanteilen von 20 % bzw. später 25 %. Keiner besaß damit eine Anteilsmehrheit. Auch eine relevante Sperrminorität wurde nicht vereinbart.
Entscheidung
Das BSG2 stellte ebenso wie die DRV und die Instanzgerichte fest, dass keiner der betroffenen Rechtsanwälte als Geschäftsführer über die vom Gericht in ständiger Rechtsprechung geforderte Rechtsmacht verfügte, um die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen3. Zudem enthielten die Geschäftsführerverträge arbeitnehmertypische Regelungen, wie eine feste Vergütung und Anspruch auf Erholungsurlaub.
Es liegt eine abhängige Beschäftigung vor
Sie waren damit in einen fremden Betrieb eingegliedert und führten kein eigenes Unternehmen. Damit konnte keine Selbständigkeit i. S. der Sozialversicherung begründet werden. Ergo bestand eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nach § 7 SGB IV.
Berufsrecht schließt SV-Pflicht nicht aus
Nach Auffassung des BSG schließt auch das anwaltliche Berufsrecht die sozialversicherungsrechtliche Einordnung als abhängige Beschäftigung nicht aus. Zwar gehe das Berufsrecht der Anwälte grundsätzlich vom Leitbild des Selbständigen aus, lasse aber auch den Status des Arbeitnehmers zu. Ebenso komme der Zuordnung der Anwaltstätigkeit zu den sog. Freien Berufen kein normativer Charakter dergestalt zu, dass die Angehörigen eines solchen Berufs grundsätzlich als Selbständige zu beurteilen seien.
Auf die Weisungsfreiheit kommt es nicht entscheidend an
Nach dem Inhalt der Geschäftsführerverträge sollten die Anwälte unabhängig, weisungsfrei und eigenverantwortlich unter Beachtung ihres Berufsrechts ihre Tätigkeit ausführen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers Anhaltspunkte für eine Beschäftigung. Daraus ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG aber nicht zwingend zu schließen, dass Weisungsgebundenheit und Eingliederung in den Betrieb stets kumulativ vorliegen müssen. Es handele sich nur um „Anhaltspunkte“ für eine persönliche Abhängigkeit, also im Regelfall typische Merkmale einer Beschäftigung und nicht um abschließende Beurteilungskriterien. Insbesondere bei sog. Diensten höherer Art könne die Weisungsgebundenheit aufs Stärkste eingeschränkt sein und sich „zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinern4.
Fachliche Unabhängigkeit steht einer Beschäftigung grds. nicht entgegen
Etwas anderes gilt auch nicht für Rechtsanwälte einer Rechtsanwaltsgesellschaft. Die Bundesrechtsanwaltsordnung gewährleistet lediglich die fachliche Unabhängigkeit der Rechtsanwälte, schließt eine Tätigkeit von Rechtsanwälten in abhängiger Beschäftigung aber nicht aus. Losgelöst von ihrer fachlichen Unabhängigkeit können Rechtsanwälte in ihrer Position als Geschäftsführer in das Unternehmen eingegliedert sein und gesellschaftsrechtlichen Weisungen durch die Gesellschafterversammlung unterliegen. Es besteht mithin kein Unterschied zu anderen Geschäftsführern außerhalb der „Freien Berufe“ in vergleichbaren Fällen, die durch das Bundessozialgericht entschieden wurden.
2. | Rentenversicherungspflicht des gewerbetreibenden Kommanditisten bei Eintrag der |
Personengesellschaft in die Handwerksrolle |
Das zweite Urteil des Bundessozialgerichts5 behandelt die Versicherungspflicht und Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung eines selbstständig tätigen Gewerbetreibenden in einem Handwerksbetrieb. Im konkreten Fall ging es um einen Betriebsleiter einer GmbH & Co. KG, der als selbstständiger Tischler tätig und in die Handwerksrolle eingetragen war. Die Frage war, ob dieser Betriebsleiter aufgrund seiner Selbständigkeit und seiner Stellung als Gesellschafter und Kommanditist rentenversicherungspflichtig ist.
RV-Pflicht für selbständige Handwerker
Die Rentenversicherung stellte fest, dass der Kläger versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, da er als selbstständig tätiger Handwerker agierte und in die Handwerksrolle eingetragen war. Auch wenn der Kläger die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich lenken konnte, änderte dies nichts an der Beurteilung der Rentenversicherungspflicht. Die Eintragung in die Handwerksrolle führte dazu, dass er den Beitragsregelungen der gesetzlichen Rentenversicherung unterlag.
Eintragung in Hand-werksrolle hat Tat-bestandswirkung
Das Gericht folgte dieser Auffassung und stellte fest, dass die Eintragung in die Handwerksrolle entscheidend für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI ist. Die Eintragungen in die Handwerksrolle haben für die Versicherungsträger grundsätzlich Tatbestandswirkung 6.
Auch wenn der Kläger 100 Prozent der Geschäftsanteile der Komplementär-GmbH hält und maßgeblich Einfluss auf die GmbH & Co. KG hat, führt seine Eintragung in die Handwerksrolle zur Rentenversicherungspflicht. Es spielt keine Rolle, dass der Kläger als Kommanditist der GmbH & Co. KG nicht zur Mitarbeit verpflichtet ist7. Eine sozialversicherungsrechtlich relevante „Tätigkeit“ liegt vor, weil der Kläger die selbständige handwerkliche Erwerbstätigkeit als handwerksrechtlich befähigter Betriebsleiter der GmbH & Co. KG tatsächlich ausübt.
Somit wurden die Bescheide der Rentenversicherung über die Beitragspflicht bestätigt.
Der Kläger ist Gesellschafter der GmbH & Co. KG und führt den Betrieb zugleich als handwerksrechtlich befähigter Betriebsleiter. Damit erfüllt er in seiner Person die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]Vgl. Skript zum Seminar Arbeitslohn 2024 S. 11ff.
- [ ↑ ]BSG, Urteil v. 28.6.2022 B 12 R 4/20 R, juris.
- [ ↑ ]Vgl. Skript zum Seminar Arbeitslohn 2024 S. 12.
- [ ↑ ]Vgl. BSG, Urteil v. 4.6.2019 B 12 R 11/18 R zu den „Honorarärzten“; vgl. Skript zum Seminar Arbeitslohn 2024 S. 20.
- [ ↑ ]BSG, Urteil v. 23.4.2024 B 12 R 2/22 R.
- [ ↑ ]BSG, Urteil v. 15.6.2020 B 12 RJ 4/99 R, juris.
- [ ↑ ]Vgl. zur bloßen Wahrnehmung einer gesellschaftsrechtlich eingeräumten Stellung BSG, Urteil v. 29.2.2012 B 12 KR 4/10 R, BeckRS 2012 S. 72384 Rz. 14.