- Gericht / Az:
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BFH, Vorlagebeschluss vom 8.5.2024 VIII R 9/23 (Az. beim BVerfG: 1 BvL 8/24)
- Fundstelle:
- BB 2024 S. 1942
- Gesetz:
- § 237 AO , § 238 Abs. 1 Satz 1 AO , Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 19 Abs. 4 GG
- Streitfrage:
- Sind AdV-Zinsen seit 2019 mit 6% verfassungsgemäß?
Verfassungsrechtliche Bedenken des VIII. Senats
Im Revisionsverfahren gegen die Entscheidung des FG Münster1, das die Verfassungsmäßigkeit der AdV Zinsen bejaht hatte, setzt der VIII. Senat sein Revisionsverfahren aus und holt eine Entscheidung des BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der AdV-Zinsen ein. Dabei geht der vorliegende Senat davon aus, dass in Zeiten einer Niedrigzinsphase, zumindest ab 2019, Aussetzungszinsen i. H. von 0,5 %/Monat verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt sind und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
Dabei erfolge eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung einerseits innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen, die ein endgültig erfolglos gebliebenes Rechtsmittel gegen einen der in § 237 Abs. 1 AO aufgezählten Verwaltungsakte betrieben haben. Steuerpflichtige, die einen Antrag auf AdV gestellt haben, werden anders behandelt als Steuerpflichtige, die die fällige Steuerschuld bezahlt haben. Diese Ungleichbehandlung sei zwar dem Grunde, nicht aber der Höhe nach gerechtfertigt, denn durch die Zinsfestsetzung solle lediglich der Liquiditätsvorteil abgeschöpft werden.
Vergleich mit Nachzahlungszinsen
Eine weitere verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung erfolgt bei Steuerpflichtgen, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtigen, die Nachzahlungszinsen (0,15% pro Monat ab 1.1.2019) entrichten müssen. Die unterschiedliche Höhe der Zinssätze für vergleichbare Sachverhalte sei nicht zu rechtfertigen.
Zwar verfolge der Gesetzgeber mit der Erhebung von Aussetzungszinsen legitime Zwecke. Diese dienen in erster Linie der Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen, weil der Steuerpflichtige durch die AdV die Steuerschuld einstweilen nicht zahlen muss2. Für diesen Abschöpfungszweck spricht, dass grundsätzlich alle Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung einen Vor- oder Nachteilsausgleich bezwecken3. Der Zweck Liquiditätsvorteile abzuschöpfen und Liquiditätsnachteile auszugleichen, ist als solcher legitim.
Allerdings ist während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase der gesetzliche Zinssatz in Höhe von 0,5 %/Monat der Höhe nach evident nicht erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Keine Besonderheiten, nur weil für AdV ein Antrag erforderlich ist
Ein Verfassungsverstoß entfällt auch nicht deshalb, weil der Steuerpflichtige durch den Antrag auf AdV den Grund für die spätere Festsetzung der Zinsen legt. Denn der Steuerpflichtige entscheidet grundsätzlich in eigener Verantwortung, ob er den geschuldeten Betrag sofort entrichten will oder AdV beantragt. Eine solche „Ausweichoption“ des Grundrechtsträgers beseitigt eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung grundsätzlich nicht.