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Jastrowsche Klausel im Berliner Testament - Besteuerung eines betagten Vermächtnisses

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Gericht / Az:
BFH, Urteil vom 11.10.2023 II R 34/20
Fundstelle:
juris
Gesetz:
§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG , § 10 Abs. 5 ErbStG

Pflichtteilsstrafklauseln

Die häufigste Form des gemeinschaftlichen Testaments ist die gegenseitige Erbeinsetzung (Berliner Testament, § 2269 BGB). Weil der Ehegatte Alleinerbe wird, sind die Nachkommen enterbt. Ihnen steht deshalb ein Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils zu (§ 2303 Abs. 1 BGB). Verlangt ein Kind nach dem Tod des zuerst Versterbenden den Pflichtteil, entsteht die oft ungewollte Situation, dass dieses Kind nach dem Tod des überlebenden Ehegatten dennoch dessen Erbe wird. An diesem Punkt setzen sog. Pflichtteilsstrafklauseln an. Im Ergebnis führen, diese Klauseln dazu, dass ein Kind, das zunächst den Pflichtteil verlangt, auch nach dem Tod des überlebenden Ehegatten nur den Pflichtteil erhält.

Jastrowsche Klausel

Soll die Geltendmachung des Pflichtteils wirtschaftlich noch unattraktiver gemacht werden, sind für diesen Fall zugunsten der übrigen Kinder Vermächtnisse in Höhe ihrer Erbteile auszusetzen, die mit dem Tod des überlebenden Ehegatten fällig werden (sog. betagte Vermächtnisse). Dies reduziert die Erbmasse und folglich auch die Höhe des Pflichtteils beim zweiten Erbfall. Durch die hinausgeschobene Fälligkeit wird der überlebende Ehegatte wirtschaftlich nicht mit den Vermächtnissen belastet. Diese Ergänzung zur Pflicht­teilsstrafklausel wird Jastrowsche Klausel genannt.

Der Streitfall, den der BFH zu beurteilen hatte, stellte sich vereinfacht wie folgt dar:

Sachverhalt

Urteilsfall

Die Eheleute V und M setzten sich in einem Berliner Testament gegenseitig zu Alleinerben ein. Die Kinder A, B und C waren nach dem Tod des überlebenden Ehegatten zu gleichen Teilen als Schlusserben eingesetzt, während die Kinder D und E enterbt wurden. Außerdem war im Testament eine Jastrowsche Klausel enthalten.

Nach dem Tod des V im Jahre 2010 machten D und E trotz der Jastrowschen Klausel jeweils ihren Pflichtteil (jeweils 500.000 €) geltend. Der Nachlass des V hatte einen Wert von 10 Mio. €. Im Jahre 2023 verstarb auch M (Nachlasswert 9 Mio. €). Die zugunsten von A, B und C angefallenen Vermächtnisse wurden nun fällig. Diese betrugen jeweils 1 Mio. €. Gemäß Testament wurden A, B und C zugleich (Schluss-)Erben nach M.

Stellungnahme

a) Jahr 2010

Kein Abzug der Vermächtnislast beim ersten Erbfall

M hat als Alleinerbin den gesamten Nachlass zu versteuern. Abzugsfähig sind die geltend gemachten Pflichtteilsansprüche von D und E, nicht jedoch die betagten Vermächtnisse für A, B und C mangels Fälligkeit.

Die Bereicherung der M für die ErbSt ermittelt sich demnach vereinfacht wie folgt:

Vermögensanfall10.000.000 €
Pflichtteilsansprüche D und E 500.000 € x 2 =./. 1.000.000 €
Vermächtnislast A, B und C./.                0 €
Bereicherung M    9.000.000 €

b) Jahr 2023

A, B und C haben die Vermächtnisse mit Fälligkeit (= Tod der M) im Jahr 2023 zu versteuern (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG). Zugleich verwirklichen sie einen Erwerb durch Erbanfall nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG. Hierbei sind die Vermächtnislasten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig, weil diese nun fällig werden.

Erbschaftsteuerrechtlich liegt ein einheitlicher Erwerb vor1. Dies bedeutet, dass auch bezüglich der Vermächtniserwerbe jeweils das Verhältnis zu M maßgeblich ist (§ 6 Abs. 4 i. V. mit Abs. 2 ErbStG)2.

Vermächtnislast im zweiten Erbfall abzugsfähig

Für A, B und C gilt jeweils vereinfacht:

a) Erwerb aus Erbanfall:

Vermögensanfall: 9.000.000 € x 1/3 =3.000.000 €
Vermächtnislast A, B und C: 3.000.000 € x 1/3 =./. 1.000.000 €
Bereicherung    2.000.000 €

b) Erwerb aus Vermächtnis:

Vermögensanfall1.000.000 €
Bereicherung 1.000.000 €

A, B und C haben somit insgesamt jeweils 3 Mio. € zu versteuern.

Dass M die Vermächtnislast im Jahr 2010 nicht abziehen kann und A, B und C ihre Vermächtnisse im Jahr 2023 zu versteuern haben, ist nach Ansicht des BFH eine systemimmanente Zweifachbesteuerung, die nicht zu beanstanden ist3. Eine unzulässige Doppelbesteuerung in 2023 liegt nicht vor, weil die Vermächtnislast bei A, B und C beim Erwerb aus Erbanfall als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig ist. Im Ergebnis neutralisiert sich der Vermächtniserwerb mit der abzugsfähigen Vermächtnislast.

Hinweis: D und E haben beim zweiten Erbfall ebenfalls (nur) einen Pflichtteilsanspruch. Bei der Berechnung ist zu berücksichtigen, dass im Nachlass von M die Vermächtnislasten enthalten sind. Die Pflichtteilsansprüche fallen deshalb geringer aus.

Praxishinweise

Der Freibetrag nach § 16 ErbStG von A, B und C in Bezug auf V ist verloren. Dies muss bei Jastrowschen Klauseln beachtet und kommuniziert werden. Es besteht lediglich die Möglichkeit, für die Besteuerung des Vermächtnisses und für Zwecke der Steuerklasse das Verhältnis zum Erblasser V zugrunde zu legen. Denn analog zu Vor- und Nacherbschaften kann auch in diesen Fällen ein Antrag nach § 6 Abs. 2 Satz 2 bis 5 ErbStG gestellt werden4. Im vorstehenden Sachverhalt führt dies jedoch nicht zu einem Vorteil, denn sowohl in Bezug auf M als auch in Bezug auf V beträgt der Freibetrag 400.000 € bei der Steuerklasse I. Einen doppelten Freibetrag sieht das Gesetz nicht vor.

Wann ist eine Jastrowsche Klausel sinnvoll?

Allerdings hat die hinausgeschobene Fälligkeit der Vermächtnisse die Mutter M vor Liquiditätsschwierigkeiten nach dem Tod des V bewahrt5.
Dies bedeutet für die Beratung: Soll der Freibetrag für A, B und C „gerettet“ werden, müssten die Vermächtnisse bereits mit dem Tod von V fällig werden. In diesem Fall könnte M außerdem die Vermächtnisse als Nachlassverbindlichkeiten abziehen. M muss allerdings zur Begleichung der Vermächtnisse wirtschaftlich in der Lage sein.

Fußnoten anzeigen


  1.  ]FG Hamburg, Urteil v. 21.2.2020 3 K 191/18, juris, Rz. 36.
  2.  ]BFH, Urteil v. 31.8.2021 II R 2/20, BStBl 2022 II S. 387; BerP 8/2022 S. 458.
  3.  ]Vgl. auch BFH, Beschluss v. 6.11.2006 II B 37/06, BFH/NV 2007 S. 242.
  4.  ]Siehe hierzu auch BerP 10/2022 S. 607 ff.
  5.  ]Kugelmüller-Pugh, DStR 2024 S. 487.