Neufang Akademie

nach oben

Splittung des Steuersatzes bei einer einheitlichen Leistung nicht möglich

Gericht / Az:
EuGH, Urteil vom 4.5.2023 C-516/21 (Finanzamt X - Putenzucht); BFH, Urteil vom 17.8.2023 V R 7/23
Fundstelle:
DStR 2023 S. 147, juris
Gesetz:
§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG
Streitfrage:
Kann bei einer einheitlichen Leistung der Steuersatz gesplittet werden?

Eine Leistung und zwei Steuersätze

Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung und damit einhergehend der Grundsatz, dass die Hauptleistung der Nebenleistung das Gepräge gibt und damit letztlich auch den anzuwendenden Steuersatz bestimmt, gehört zu den elementaren Grundsätzen der Umsatzsteuer. Allerdings setzt sich der Gesetzgeber beispielsweise in § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG explizit über diesen Grundsatz hinweg, indem er bestimmt, dass zwar die Vermietung eines Grundstücks steuerfrei ist, die Mitvermietung von „sonstigen Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen)“ allerdings steuerpflichtig ist. Damit unterliegt eine einheitliche Leistung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zweierlei Steuersätzen (steuerfrei und 19 %).

Praxishinweis

Ähnliches gilt bei Beherbergungsleistungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG. Siehe hierzu nachfolgend.

Streitfall: Verpachtung Stall zur Putenaufzucht inkl. Betriebsvorrichtungen

Ein solcher Fall des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG lag im Besprechungsurteil vor: Es wurde Stallgebäude zur Putenaufzucht mit auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen verpachtet. Hierfür war ein einheitliches Entgelt vereinbart. Die Verwaltung vertrat die Auffassung, dass 20 % dieses Entgeltes umsatzsteuerpflichtig seien, denn insoweit würde die Pacht Betriebsvorrichtungen betreffen. Der restliche Teil der Pacht wurde nicht nach § 9 UStG optiert, denn der Pächter war pauschalierender Landwirt i. S. des § 24 UStG. Nach der Vorlage des BFH musste sich der EuGH nun zur Frage äußern, ob eine solche Aufteilung einer einheitlichen Leistung in zwei umsatzsteuerrechtliche Folgen mit dem Unionsrecht zu vereinbaren ist.

EuGH zur Abgrenzung einheitliche Leistung vs. Leistungsbündel

Der EuGH urteilt gewohnt ausführlich und beginnt zunächst mit allgemeinen Ausführungen zur Einheitlichkeit der Leistung. Bei einem Umsatz, der verschiedene Einzelkomponenten umfasst, ist im Wege einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen, ob

getrennte Leistungen (sodann getrennte Steuersätze möglich) vorliegen oder
es sich um eine einheitliche Leistung (mit dem Grundsatz Einheitlichkeit der Leistung) handelt.

Letzteres ist anzunehmen, wenn mehrere Einzelleistungen aus Sicht des Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Anders ausgedrückt: Hat aus Sicht des Kunden der einzelne Leistungsbestandteil der mutmaßlichen Nebenleistung auch ohne die Hauptleistung einen wirtschaftlichen Reiz? Wäre der Kunde bereit, nur diese mutmaßliche Nebenleistung zu beziehen? Falls dies bejaht wird, ist dies ein gewichtiges Indiz für zwei selbstständige Einzelleistungen.

EuGH: Einheitlichkeit der Leistung kann nicht gesetzgeberisch geteilt werden

Hat eine Nebenleistung aber aus Sicht des Kunden keinen eigenständigen werthaltigen Zweck, sondern ist diese nur im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Hauptleistung sinnvoll, teilt sie das Schicksal der Hauptleistung. Dies gilt damit auch für die Frage der Steuerbefreiung und des Steuersatzes. Ein einheitlicher Gesamtumsatz darf - so der EuGH - zur Wahrung eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden - auch nicht durch gesetzliche Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Dem steht Art. 135 Abs. 2 MwStSystRL nicht entgegen.

Praxishinweise

Damit hat der EuGH klar den Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung gestärkt!
Ob nun im konkreten Streitfall eine einheitliche Leistung oder mehrere Einzelleistungen vorliegen, ist eine Einzelfallwürdigung. Der EuGH und der BFH in seinem Anschlussurteil gehen im Streitfall davon aus, dass eine wirtschaftlich einheitliche Leistung vorliegt. Damit ist die Verpachtung des Stalls inkl. Betriebsvorrichtungen in Summe steuerfrei.
Dies ist nicht für alle Beteiligten vorteilhaft. Der Verpächter hat folglich keinen anteiligen Vorsteuerabzug mehr. Dies wird sich mutmaßlich in der Pachthöhe niederschlagen. Ob damit etwas gewonnen ist, bleibt zweifelhaft.

Des einen Freud, des anderen Leid

Wichtig: Betrifft auch Hotels!

Letztlich muss zudem beachtet werden, dass das Urteil auch in einem anderen Bereich Auswirkungen hat. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG sind bei Beherbergungsleistungen bestimmte Leistungsbestandteile mit 7 % zu besteuern, andere mit 19 %. Ist dies möglich, wenn die Leistung aus Sicht des Kunden eine einheitliche Gesamtleistung darstellt? U. E. ist dies nicht der Fall. Daher ist das Besprechungsurteil u. E. gerade für die Hotel-Branche massiv relevant. Wir verweisen hierzu auf BerP 4/2023 S. 209 und den dort dargestellten BFH-Beschluss vom 7.3.20221. Dort gewährte der BFH bereits AdV im Hinblick auf die fragliche Steuersatzsplittung bei Beherbergungsleistungen. Aufgrund des dargestellten EuGH-Urteils und der BFH-Folgeentscheidung ist umso dringender dazu zu raten, entsprechende Fälle nicht bestandskräftig werden zu lassen. Wir weisen hier aber nochmals auf die Rechnungsproblematik2 hin.


Fußnoten anzeigen


  1.  ]BFH, Beschluss vom 7.3.2022 XI B 2/21, BFH/NV 2022 S. 789.
  2.  ]Vgl. BerP 4/2023 S. 209.