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Wechselseitige Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen (Anteils¬rotation) unter Wert

Gericht / Az:
BFH, Urteil vom 20.9.2022 IX R 18/21
Fundstelle:
BFH/NV 2023 S. 313
Gesetz:
§ 17 EStG , § 42 AO
Streitfrage:
Sind sog. Anteilsrotationen im Bereich des § 17 EStG zulässig und falls ja, unter welchen Voraussetzungen?

Verlust nach § 17 EStG

Ein Veräußerungsverlust nach § 17 EStG ist (nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens) mit übrigen Einkünften unbeschränkt verrechenbar. Der BFH hatte zu entscheiden, ob durch Vereinbarung eines geringen Entgelts und einer wechselseitigen Veräußerung der Anteile unter den Gesellschaftern ohne Weiteres ein Verlust nach § 17 EStG anzuerkennen ist.

Sachverhalt

Im Streitfall wurde zwischen den beiden einzigen Gesellschaftern ein Preis von 12.500 € für jeweils 50 % der Anteile an einer GmbH vereinbart. Dies hätte nach der Anwendung des Teileinkünfteverfahrens je Gesellschafter zu einem Verlust von rund 292.500 € geführt. Ein Nachweis über die tatsächliche Höhe der Anteilswerte wurde nicht erbracht.

Der BFH erkannte diesen Fall einer sogenannten Anteilsrotation nicht an. Im Streitfall war der gewählte Weg des wechselseitigen Anteilsverkaufs un­ter Wert zur Verlustnutzung rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AO.

Motiv: Generierung eines Steuererstattungsanspruchs zur Darlehenstilgung

Der BFH entschied, dass der von den beiden Gesellschaftern durchgeführten Anteilsrotation kein realer wirtschaftlicher Hintergrund beigemessen werden kann. Nach den Angaben der Gesellschafter diente die wechselseitige Veräußerung dem Zweck, durch das Auslösen eines Steuererstattungsanspruchs die Möglichkeit zur Tilgung der Darlehen zu schaffen, mit denen die Gesellschaftsanteile finanziert waren. Es mangelt somit an einem beachtlichen außersteuerlichen Grund für die gewählte Vertragsgestaltung (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO). Deshalb liegt ein Missbrauch nach § 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO vor, denn es wurde eine unange­messene rechtliche Gestaltung gewählt, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem ge­setzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führen sollte.

Kaufpreise unter Wert

Zudem erfolgte die Festsetzung der Kaufpreise offensichtlich unter Wert. Es ergab sich im Streitjahr ein Substanzwert von ca. 282.000 €. Der Wert nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren lag sogar noch deutlich höher, weil die GmbH Überschüsse erzielte.

Anteilsrotationen sind nicht grundsätzlich missbräuchlich

Damit gilt: Einem Steuerpflichtigen steht es frei, ob und an wen er seine Anteile veräußert. Dies ist auch dann der Fall, wenn sich ein Veräußerungsverlust ergibt. Allein dieser Umstand ist noch nicht rechtsmissbräuchlich. Deshalb hat der BFH ähnliche Anteilsrotationen in der Vergangenheit bereits anerkannt1. Zweifel wie im Urteil vom 20.9.2022 ergeben sich allerdings dann, wenn zwar zivilrechtlich ein anderer, wirtschaftlich aber ein identischer Gesellschaftsanteil erworben werden soll und der Kaufpreis nicht dem realen Wert entspricht.  

Praxishinweis

Der Nachweis, dass der vereinbarte Preis dem tatsächlichen Wert entspricht, ist auf Ebene der Tatsacheninstanz zu erbringen. Gleiches gilt für das Vorbringen außersteuerlicher Gründe nach § 42 Abs. 2 Satz 2 AO.

Wann ist der Verlust geltend zu machen?

Außer dem Hauptstreitpunkt ergeben sich aus der Urteilsbegründung wichtige Hinweise für die Praxis zum Realisationszeitpunkt eines Veräußerungsverlusts. Der Tatbestand des § 17 EStG ist dann erfüllt, wenn das zivilrechtliche oder mindestens das wirtschaftliche Eigentum übergegangen ist. Im Urteilsfall war im Streitjahr lediglich ein privatschriftlicher Kauf- und Abtretungsvertrag vorhanden. Ein solcher Vertrag ist formnichtig; vielmehr ist ein notariell beurkundeter Vertrag notwendig (§ 15 Abs. 3 und 4 GmbHG). Ein solcher lag jedoch erst im Folgejahr vor, was den formnichtigen privatschriftlichen Vertrag nur mit Wirkung für die Zukunft heilte (§ 15 Abs. 4 Satz 2 GmbHG). Deshalb hätte ein Veräußerungsverlust (wenn er anzuerkennen gewesen wäre) im Folgejahr geltend gemacht werden müssen.

Ausnahme: Wirtschaftliches Eigentum

Dies wäre nur dann anders zu beurteilen gewesen, wenn das wirtschaftliche Eigentum bereits im Streitjahr übergegangen wäre. Im Streitfall fehlte es an Feststellungen der Vorinstanz hierzu. Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht nach den Ausführungen des BFH grundsätzlich auf ei­nen Erwerber über, wenn der Käufer des Anteils

aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine recht­lich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann;
die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermö­gens‑)Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie
Risiko und Chance von Wertveränderungen auf ihn übergegangen sind.

Praxishinweis

Damit ist auch dem Zeitpunkt der Geltendmachung eines Veräußerungstatbestandes besondere Aufmerksamkeit zu widmen.


Fußnoten anzeigen


  1.  ]BFH, Urteil v. 7.12.2010 IX R 40/09, BStBl 2011 II S. 427.