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Aktuelle gesetzliche Entwicklungen im Be­wer­tungs­recht

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Gesetz:
§ 177 ff. BewG
Streitfrage:
Welche Änderungen des Bewertungsgesetzes sind im Jah­res­steu­er­ge­setz 2022 geplant?

Änderungen des BewG: Zunächst unscheinbar, aber mit erheblichen Folgen

Die durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2022 geplanten Änderungen des Be­wer­tungs­ge­setzes wirken zunächst unscheinbar. Die Eingriffe beziehen sich im Wesentlichen auf das Ertragswert- und Sachwertverfahren für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer und der Grunderwerbsteuer. Die Ge­set­zes­be­grün­dung1 bezieht sich auf „Anpassungen an die geänderte Immo­bi­li­en­wert­er­mitt­lungs­ver­ord­nung (ImmoWertV)“2 oder „Anpassungen an das Markt­ni­veau“3. Ein zweiter Blick lohnt sich aber, denn es können sich im Ergebnis er­heb­li­che Unterschiede im Vergleich zu den bisherigen Be­wer­tungs­ver­fah­ren ergeben.

Im Nachfolgenden werden die wichtigsten Änderungen des BewG dargestellt.

Praxishinweis

Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Weitere Än­de­run­gen sind deshalb möglich. Die Neuregelungen sollen für Be­wer­tungs­stich­ta­ge nach dem 31.12.2022 in Kraft treten4.

1.Abgabe der Feststellungserklärungen

Abgabe in elek­tro­ni­scher Form

Künftig muss die nach § 153 BewG vorgeschriebene Feststellungserklärung in elek­tro­ni­scher Form abgegeben werden. Auf Antrag kann in Härtefällen hier­von abgesehen werden.

Praxishinweis

Damit wird sich wohl das Chaos der Grundsteuer wiederholen!

2.Allgemeine Regelungen zur Bewertung des Grundvermögens
2.1Bezugnahme auf die ImmoWertV

Daten der Gut­ach­ter­aus­schüsse

In § 177 Abs. 2 und 3 BewG werden die Voraussetzungen für die Anwendung der von den Gutachterausschüssen im Sinne der §§ 192 bis 199 BauGB er­mit­tel­ten sonstigen für die Wertermittlung erforderlichen Daten bei den Be­wer­tun­gen nach den §§ 182 bis 196 BewG bestimmt. Die Daten der Gut­ach­ter­aus­schüs­se sind in einem Zeitraum von bis zu drei Jahren zwischen Be­zugs­stich­tag der Daten und Bewertungsstichtag als geeignet anzusehen.

Keine Be­rück­sich­ti­gung ob­jekt­spe­zi­fi­scher Be­son­der­heiten

Besonderheiten des einzelnen Grundstücks wie Belastungen privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art werden nicht berücksichtigt. Die Regelungen in § 8 Abs. 3 ImmoWertV, die objektspezifische Merkmale einfließen lassen, gel­ten somit bei der An­wen­dung von §§ 179 und 182 bis 196 BewG grund­sätz­lich nicht.

Praxishinweise

Die Möglichkeit des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts durch Gutachten (§ 198 BewG) bleibt durch das JStG 2022 unberührt.
Dass objektspezifische Merkmale außer Betracht bleiben sollen, entspricht bereits der bisherigen Verwaltungsauffassung5.
2.2Definition des Wohnungsbegriffs

Mindestwohnfläche 20 m2

Der Wohnungsbegriff in § 181 Abs. 9 BewG wird an die Definition in § 249 Abs. 10 BewG (Wohnungsbegriff für Zwecke der Grundsteuer) angeglichen. Die Mindestwohnfläche soll (bisher: muss) 20 m2 (bisher: 23 m2) betragen.

3.

Änderungen im Ertragswertverfahren

Im Ertragswertverfahren sind Mietwohngrundstücke sowie Ge­schäfts­grund­stücke und gemischt genutzte Grundstücke zu bewerten, wenn sich eine orts­übliche Miete ermitteln lässt (§ 182 Abs. 3 BewG).

Ermittlung des Gebäudealters

Es wird gesetzlich festgeschrieben, dass das Alter des Gebäudes durch Abzug des Jahres der Bezugsfertigkeit des Gebäudes vom Jahr des Be­wer­tungs­stich­tags zu bestimmen ist (§ 185 Abs. 3 Satz 4 BewG-E). Dies ent­spricht der bis­he­ri­gen Regelung in den ErbStR6.

Verkürzung RND nur bei Ab­bruch­ver­pflich­tung

Nicht mehr im Gesetz enthalten ist die Verkürzung der Restnutzungsdauer durch Ver­än­de­run­gen nach Bezugsfertigkeit. Einzige Ausnahme ist eine be­ste­hen­de Ab­bruch­ver­pflich­tung (§ 185 Abs. 3 BewG-E). Nur in diesem Fall darf die Min­dest­rest­nut­zungs­dauer von 30 % der Gesamtnutzungsdauer un­ter­schrit­ten werden. Auch diese gesetzliche Änderung entspricht der bis­he­ri­gen Ver­wal­tungs­auffassung7.

Angepasst wird außerdem die Anlage 22 zum BewG. Für die Praxis relevant ist die An­pas­sung der Gesamtnutzungsdauer. Diese verlängert in folgenden Fällen:

Ein- und Zweifamilienhäuser: 80 Jahre (bisher 70 Jahre)
Mietwohngrundstücke, Mehrfamilienhäuser: 80 Jahre (bisher 70 Jahre)
Wohnungseigentum: 80 Jahre (bisher 70 Jahre)
Gemischt-genutzte Grundstücke (Wohnhäuser mit Mischnutzung): 80 Jahre (bisher 70 Jahre)

Bewirtschaftungs­kosten: Indexierte Werte statt Pro­zent­satz der Jah­res­miete

Bei den Bewirtschaftungskosten (§ 187 BewG) wird der Vorrang der Er­fah­rungs­sätze auf Basis der Gutachterausschüsse durch eine zwingende An­wen­dung der völlig neu gefassten Anlage 23 zum BewG ersetzt. Bisher er­ga­ben sich die pauschalierten Be­wirt­schaf­tungs­kos­ten aus einem be­stimm­ten Pro­zent­satz von der Jahresmiete. Nun erfolgt ein Systemwechsel hin zu festen Be­trä­gen in Euro. Außerdem werden jeweils eigene Werte für Ver­wal­tungs­kos­ten, Instandhaltungskosten und das Mietausfallwagnis ein­ge­führt.

Beträge für Wohn­nutzung

Es werden Beträge für Wohnnutzung wie folgt festgelegt:

Verwaltungskosten: Jährlich je Wohnung (Basiswert 230 €);
Verwaltungskosten: Jährlich je Garage oder ähnlichem Einstellplatz (Ba­sis­wert 30 €);
Instandhaltungskosten: Jährlich je m2 Wohnfläche (Basiswert 9 €);
Instandhaltungskosten: Jährlich je Garage oder ähnlichem Einstellplatz (Ba­sis­wert 68 €) und
als Mietausfallwagnis werden 2 % des jährlichen Rohertrags berücksichtigt.

Beträge für ge­werb­li­che Nut­zung

Bei gewerblicher Nutzung gelten folgende Werte:

Verwaltungskosten: 3 % des jährlichen Rohertrags;
Instandhaltungskosten: Je nach Gebäudeart zwischen 30 % und 100 % der In­stand­hal­tungs­kos­ten je m2, die für Wohnnutzung gelten würden (s. o.) und
als Mietausfallwagnis werden 4 % des jährlichen Rohertrags berücksichtigt.

Indexierung der Basiswerte

Die o. g. Werte stellen Basiswerte auf den Oktober 2001 dar und werden jähr­lich mit dem Pro­zent­satz, um den sich der vom Statistischen Bundesamt fest­ge­stell­te Ver­brau­cher­preis­index für Deutschland geändert hat, indexiert. Das BMF wird den Indexwert jähr­lich ver­öf­fent­li­chen.

Praxishinweis

Die Änderung resultiert aus der Anpassung an die Anlage 3 zur ImmoWertV. Gleichwohl ist festzuhalten, dass das Ertragswertverfahren wieder etwas kom­plizierter wird.

Ermittlung der Bodenwert-verzinsung

Zur Ermittlung der Bodenwertverzinsung ist der Bodenwert mit dem ange­mes­sen­en und nutzungstypischen Liegenschaftszinssatz zu multiplizieren (§ 185 Abs. 2 Satz 1 und 2 BewG, § 188 BewG). Erhebliche Auswirkungen hat die An­passung der Liegenschaftszinssätze in § 188 Abs. 2 BewG. Es ergeben sich folgende Werte:

BisherNeu
Mietwohngrundstücke5,0 %3,5 %
Gemischt genutzte Grundstücke mit einem gewerblichen An­teil von bis zu 50 %, berechnet nach der Wohn- und Nutz­fläche5,5 %4,5 %
Gemischt genutzte Grundstücke mit einem gewerblichen An­teil von mehr als 50 %, berechnet nach der Wohn- und Nutz­fläche6,0 %5,0 %
Geschäftsgrundstücke6,5 %6,0 %

Auswirkung auf Bodenwertver­zinsung und weitere Folgeeffekte

Dadurch ergibt sich eine deutlich geringere Bodenwertverzinsung. Bezieht man auch die verlängerte Gesamtnutzungsdauer mit ein, sind die Auswirkungen auf den Grundbesitzwert erheblich. Dies soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden:

Sachverhalt

Ein im Jahr 2022 zu bewertendes Mietwohngrundstück (Baujahr 1991) weist einen Reinertrag (jährlicher Rohertrag nach Abzug der Bewirtschaftungskosten) i. H. von 60.000 € auf. Bei einer Gesamtnutzungsdauer von 70 Jahren ergibt sich eine Restnutzungsdauer von 39 Jahren (Gebäudealter 31 Jahre). Der Bo­den­wert soll 600.000 € betragen.

Stellungnahme

Es ergibt sich folgender Grundbesitzwert:

Reinertrag60.000 €
./. Bodenwertverzinsung: Bodenwert x Liegenschaftszinssatz
600.000 € x 5,0 %./.  30.000 €
Gebäudereinertrag30.000 €
x Vervielfältiger lt. Anlage 21 zum BewG:          17,02
Gebäudeertragswert:510.600 €
zzgl. Bodenwert   600.000 €
Grundbesitzwert1.110.600 €

Abwandlung

Das Grundstück wird im Jahr 2023 übertragen. Bis auf das Baujahr (nun 1992) sollen die Werte zum Ausgangssachverhalt zu Vergleichszwecken identisch bleiben.

Stellungnahme

Bezogen auf die Gesamtnutzungsdauer, die laut der neuen Anlage 22 zum BewG bei Mietwohngrundstücken nun 80 Jahre beträgt, ergibt sich eine Rest­nutzungsdauer von 49 Jahren. Außerdem wirkt sich die neue Rechtslage auf den Liegenschaftszinssatz aus. Folgeeffekte ergeben sich bei der Ermittlung des Vervielfältigers (Anlage 21 zum BewG). Der Grundbesitzwert berechnet sich wie folgt:

Reinertrag60.000 €
./. Bodenwertverzinsung: Bodenwert x Liegenschaftszinssatz
600.000 € x 3,5 %./.  21.000 €
Gebäudereinertrag39.000 €
x Vervielfältiger lt. Anlage 21 zum BewG:          23,28
Gebäudeertragswert:907.920 €
zzgl. Bodenwert   600.000 €
Grundbesitzwert1.507.920 €

Praxishinweis

Die Zahlen sprechen für sich. Es ergibt sich eine Erhöhung des Grund­be­sitz­wer­tes um 397.320 € oder rund 36 %. Deswegen ist zu über­le­gen, oh­ne­hin geplante Grund­stücks­über­tra­gun­gen noch im Jahr 2022 durch­zu­führen.

4.Änderungen im Sachwertverfahren

Im Sachwertverfahren sind z. B. Ein- und Zweifamilienhäuser zu bewerten, wenn kein Vergleichswert vorliegt (§ 182 Abs. 4 BewG). Im Zuge der An­pas­sung an die geänderte ImmoWertV wird § 190 BewG um­fas­send geändert.

Regionalfaktoren

Neu im Sachwertverfahren ist der Ansatz eines Regionalfaktors (§ 190 Abs. 3, Abs. 5 BewG-E). Er berücksichtigt regionale Abweichungen des Bau­kos­ten­ni­veaus zum durchschnittlichen bundesweiten Wert. Anzuwenden sind die Re­gio­nal­fak­to­ren, die von den Gut­ach­ter­aus­schüs­sen bei der Ab­lei­tung der Sach­wert­faktoren nach § 191 Satz 1 BewG-E zugrunde gelegt worden sind. Liegen keine Regionalfaktoren vor, gilt ein Faktor von 1,0.

Alters­wert­min­de­rung wird zu Al­ters­wert­min­de­rungs­faktor

In § 190 Abs. 6 BewG-E wird die Ermittlung des Alterswertminderungsfaktors im Sinne des § 36 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 ImmoWertV geregelt. Die Ablösung der bisherigen Alterswertminderung nach § 190 Abs. 4 BewG durch den Alterswertminderungsfaktor nach § 190 Abs. 6 BewG-E erfolgt nach der Gesetzesbegründung im Ergebnis wertneutral8. Allerdings gilt es zu beachten, dass die oben dargestellten Änderungen in der Anlage 22 zum BewG (Ge­samt­nutzungsdauer) sich auch auf das Sachwertverfahren auswirken.

Die Ermittlung des Gebäudesachwerts erfolgt nun nach folgendem Schema9:

Wertzahl

Die Summe aus dem Gebäudesachwert und dem Bodenwert ist nach § 189 Abs. 3 BewG-E mit der Wertzahl nach § 191 Satz 2 BewG-E zu multiplizieren. Wich­tigs­te Änderung in diesem Zusammenhang ist die Anpassung der Wert­zah­len in der Anlage 25 zum BewG. Diese kommen zur Anwendung, wenn von den Gutachterausschüssen keine Sachwertfaktoren zur Verfügung stehen.

Auch beim Sachwertverfahren hat diese „Anpassung an das Marktniveau“10 erhebliche Auswirkungen. Dies sei an folgendem Fall verdeutlicht:

Sachverhalt

Bei einem im Jahr 2022 zu bewertendes Einfamilienhaus ergibt sich ein vor­läu­fi­ger Sachwert von 500.000 € (Bodenwert + Gebäudesachwert). Der Bo­den­richt­wert beträgt 500 €/m2. Es stehen keine Vergleichswerte und keine Sach­wert­fak­to­ren zur Verfügung, so dass das Sach­wertverfahren anzuwenden ist.

Stellungnahme

Es ergibt sich folgender Grundbesitzwert:

vorläufiger Sachwert500.000 €
x Wertzahl lt. Anlage 25 zum BewG:           1,0
Grundbesitzwert500.000 €

Abwandlung

Das Grundstück wird im Jahr 2023 übertragen. Die Werte zum Aus­gangs­sach­ver­halt sollen zu Vergleichszwecken identisch bleiben.

Stellungnahme

Der Grundbesitzwert berechnet sich wie folgt:

vorläufiger Sachwert500.000 €
x Wertzahl lt. Anlage 25 zum BewG:           1,3
Grundbesitzwert650.000 €

Die Bewertung fällt somit um 150.000 € bzw. 30 % höher aus als nach der bis­herigen Rechtslage.

Anlage 25: Lineare Interpolation

Auch das Sachwertverfahren wird - neben der Einführung von Re­gio­nal­fak­to­ren - in einem weiteren Punkt komplizierter: Zwischenwerte in der An­la­ge 25 zum BewG sind linear zu interpolieren11. Dies gilt sowohl für den vor­läu­fi­gen Sach­wert als auch für den Bodenrichtwert bzw. abgeleiteten Bo­den­wert. Eine Extrapolation für Werte außerhalb der Anlage 25 zum BewG hat je­doch nicht zu erfolgen. In diesen Fällen ist der am nächsten gelegene Wert der Tabelle maßgeblich.

5.Weitere Neuregelungen

Das JStG 2022 enthält außerdem weitere Regelungen zu folgenden Be­rei­chen, die aus der Anpassung an die geänderte ImmoWertV resultieren:

Bewertung des Erbbaurechts (§ 193 BewG),
Bewertung des Erbbaugrundstücks (§ 194 BewG) und
Bewertung von Gebäuden auf fremdem Grund und Boden (§ 195 BewG).

Fußnoten anzeigen


  1.  ]Abrufbar unter: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2022/0401-0500/457-22.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (Stand: 5.11.2022); Gesetzesbegründung, BR-Drucksache v. 16.9.2022 457/22, S. 32.
  2.  ]ImmoWertV v. 14.7.2021, BGBl 2021 I S. 2805.
  3.  ]Vgl. beispielhaft Gesetzesbegründung, BR-Drucksache v. 16.9.2022 457/22, S. 136.
  4.  ]Vgl. Gesetzesbegründung, BR-Drucksache v. 16.9.2022 457/22, S. 32.
  5.  ]R B 179.2 Abs. 8 ErbStR.
  6.  ]R B 185.3 Abs. 1 Satz 2 ErbStR.
  7.  ]R B 185.3 Abs. 5 ErbStR.
  8.  ]Vgl. Gesetzesbegründung, BR-Drucksache v. 16.9.2022 457/22, S. 27.
  9.  ]Vgl. Gesetzesbegründung, BR-Drucksache v. 16.9.2022 457/22, S. 138.
  10.  ]So die Gesetzesbegründung, BR-Drucksache v. 16.9.2022 457/22, S. 139.
  11.  ]Vgl. Gesetzesbegründung, BR-Drucksache v. 16.9.2022 457/22, S. 34.