- Gericht / Az:
- BFH, Urteil vom 26.9.2023 IX R 13/22
- Fundstelle:
-
BFH/NV 2024 S. 306
- Gesetz:
- § 23 EStG
- Streitfrage:
- Ist eine Anschaffung i. S. des § 23 EStG gegeben, wenn ein Miterbenanteil entgeltlich erworben wird?
Grundsätze des § 23 EStG
Die Veräußerung eines Grundstücks des Privatvermögens ist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerpflichtig, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Unter dem Begriff der Anschaffung i. S. des § 23 EStG ist nach ständiger Rechtsprechung ein entgeltlicher Erwerb zu verstehen1.
Erfordernis der Nämlichkeit
Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sollen Wertveränderungen eines „bestimmten Wirtschaftsguts“ erfasst werden. Hieraus ergibt sich bei § 23 EStG das Erfordernis der Nämlichkeit von angeschafftem und innerhalb der Haltefristen veräußertem Wirtschaftsgut2. Dabei bedeutet Nämlichkeit die Identität im wirtschaftlichen Sinn. Ob und in welchem Umfang Nämlichkeit gegeben ist oder ein anderes Wirtschaftsgut vorliegt, richtet sich nach einem wertenden Vergleich von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Maßgebliche Kriterien sind die Gleichartigkeit, Funktionsgleichheit und Gleichwertigkeit von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut3.
Partielle Nämlichkeit ist ausreichend
Eine partielle Nämlichkeit genügt. Dies hat der BFH in einem Fall entschieden, in dem ein mit einem Erbbaurecht belastetes Grundstück vom Erbbauberechtigten angeschafft und nach Löschung des Erbbaurechts lastenfrei veräußert wurde4. Allerdings ist nur der anteilige Veräußerungspreis zugrunde zu legen, der wirtschaftlich gesehen auf das Grundstück im belasteten Zustand entfällt5.
Ob die Nämlichkeit des angeschafften und veräußerten Wirtschaftsguts im Zusammenhang mit einem Miterbenanteil vorliegt, hatte der BFH zu entscheiden. Der Urteilsfall stellte sich wie folgt dar.
Sachverhalt
Miterbengemeinschaft
Nach dem Tod der EF erbten die Kinder S und T (Erbteil je 24 %) und der überlebende Ehemann EM (Erbteil 52 %). Nachdem die Kinder ihre Erbteile an einen Dritten entgeltlich veräußerten, machte EM von seinem Vorkaufsrecht (§ 2034 Abs. 1 BGB) Gebrauch und erwarb die Miterbenanteile (2 x 24 % = 48 %) gegen Entgelt. Zum gleichen Zeitpunkt wurde die Erbengemeinschaft auseinandergesetzt.
Ein Jahr später veräußerte EM im eigenen Namen und zugleich als Testamentsvollstrecker eines der Grundstücke aus dem Nachlass entgeltlich an einen Dritten. Das Finanzamt nahm i. H. von 48 % ein privates Veräußerungsgeschäft nach § 23 EStG an, weil der Erwerb der Miterbenanteile bezogen auf die dort enthaltenen Grundstücksteile eine Anschaffung i. S. der Vorschrift darstellte und die Zehn-Jahresfrist bei Veräußerung des Grundstücks insoweit noch nicht abgelaufen war.
Stellungnahme
Der BFH kommt zu einem anderen Ergebnis. Eine gesamthänderische Beteiligung - wie hier bei einer Erbengemeinschaft - vermittelt keinen sachenrechtlich fassbaren Anteil und infolgedessen auch kein Verfügungsrecht des jeweiligen Erben an den Gegenständen des Gesamthandsvermögens. Es liegt keine Identität (Nämlichkeit) des erworbenen und veräußerten Gegenstands vor. Der Veräußerungsvorgang ist damit nicht nach § 23 EStG steuerpflichtig.
Praxishinweise
§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO ist hier nicht anzuwenden
Nach Ansicht des BFH ist die in § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO10 normierte Bruchteilsbetrachtung nur dann anzuwenden, wenn die Gesamthand selbst den Besteuerungstatbestand erfüllt. Beim Erwerb der Miterbenanteile ist kein Grundstück, sondern ein Gemeinschaftsanteil übertragen worden. Mit dieser Auffassung rückt der BFH von seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 200411 ab und nähert sich wieder seiner früheren Rechtsprechung aus dem Jahr 199012 an.
§ 23 Abs. 1 Satz 4 EStG gilt nur für Personengesellschaften
Auch aus § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG ergibt sich keine Bruchteilsbetrachtung im Urteilsfall. Nach dieser Vorschrift gilt die Anschaffung oder Veräußerung einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter. Die Vorschrift erfasst nach ihrem klaren und eindeutigen Wortlaut nur Beteiligungen an Personengesellschaften. Dies schließt eine Anwendung der Regelung auf Erbengemeinschaften aus, weil diese nicht zu den Personengesellschaften zählen13.
Der BFH geht davon aus, dass es an der Nämlichkeit des veräußerten und angeschafften Gegenstands fehlt. Die Grundstücksveräußerung ist nicht steuerbar. Bezogen auf den Urteilsfall würde dies bedeuten: Hätte die Erblasserin das Grundstück ein Jahr vor ihrem Tod erworben, würde sich an der Lösung nichts ändern. Auf die Zehn-Jahresfrist kommt es nicht an. Lediglich die 52 % des Grundstücks, die EM als Erben direkt zuzuordnen sind, wären in diesem Fall von § 23 EStG erfasst.
Praxishinweis
In der Folge stellt sich die Frage, ob beim Erwerb eines Miterbenanteils eine AfA-Berechtigung für die enthaltenen Grundstücksteile besteht. Der BFH musste sich hierzu nicht positionieren. U. E. hat die Entscheidung des BFH nur eine Auswirkung auf § 23 EStG. Das bedeutet, dass bezüglich der 48 % Anschaffungskosten vorliegen und damit AfA möglich ist. Bezüglich der 52 % wird die AfA des Rechtsvorgängers fortgeführt.
Abweichende Rechtsprechung zu § 17 EStG
Wäre in der Erbengemeinschaft ein Anteil i. S. des § 17 EStG enthalten gewesen, hätte die Veräußerung des Miterbenanteils nach der BFH-Rechtsprechung zur Anwendung der Bruchteilsbetrachtung nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO geführt14. Demnach wäre jeweils bei S und T der Tatbestand des § 17 EStG zu prüfen; EM hätte entsprechend Anschaffungskosten. Zu § 17 EStG trifft der BFH im aktuellen Urteil keine Aussage, weil lediglich die Voraussetzungen des § 23 EStG zu würdigen waren. Aufgrund der spezifischen Tatbestandsmerkmale für § 23 EStG ist das Urteil nicht auf sämtliche Vermögensarten bzw. -gegenstände übertragbar. Im Ergebnis muss man wohl festhalten, dass bei § 17 EStG die Bruchteilsbetrachtung gilt, bei § 23 EStG hingegen nicht.
Praxishinweise
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 22.9.1987 IX R 15/84, BStBl 1988 II S. 250; H 23 EStH „Anschaffung“.
- [ ↑ ]Levedag, in Schmidt, EStG, 42. Aufl., § 23 Rz. 2 m. w. N.
- [ ↑ ]BFH, Urteile v. 8.11.2017 IX R 25/15, BStBl 2018 II S. 518, Rz. 17; v. 12.6.2013 IX R 31/12, BStBl 2013 II S. 1011, Rz. 13 f., m. w. N.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 12.6.2013 IX R 31/12, BStBl 2013 II S. 1011.
- [ ↑ ]Aufteilung ggf. im Schätzungswege, vgl. BFH, Urteil v. 12.6.2013 IX R 31/12, BStBl 2013 II S. 1011, Rz. 17, 22; Levedag, in Schmidt, EStG, 42. Aufl., § 23 Rz. 2.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.3.2006 IV B 2 - S 2242 - 7/06, BStBl 2006 I S. 253, Rz. 1.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.3.2006 IV B 2 - S 2242 - 7/06, BStBl 2006 I S. 253, Rz. 23; B.Neufang/Bulling, StB 12/2022 S. 377, Tz. II.1.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 13.1.1993 IV B 3 - S 2190 - 37/92, BStBl 1993 I S. 80, Rz. 9.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.3.2006 IV B 2 - S 2242 - 7/06, BStBl 2006 I S. 253, Rz. 43.
- [ ↑ ]Auch nach Einführung des MoPeG ab 1.1.2024 gelten Erbengemeinschaften i. S. des § 2032 ff. BGB weiterhin als Gesamthandsgemeinschaften, vgl. Baum, in AO-eKommentar, § 39 Rz. 26. Diese gelten steuerrechtlich als nicht rechtsfähige Personenvereinigung (§ 14a Abs. 3 Nr. 3 AO), vgl. die Än­de­run­gen in der AO durch Art. 23 des Kreditzweitmarktförderungsgesetzes v. 22.12.2023, BGBl 2023 I Nr. 411.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 20.4.2004 IX R 5/02, BStBl 2004 II S. 987.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 4.10.1990 X R 148/88, BStBl 1992 II S. 211.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 26.9.2023 IX R 13/22, BFH/NV 2024 S. 306, Rz. 24, m. w. N.
- [ ↑ ]BFH, Urteile v. 13.7.1999 VIII R 72/98, BStBl 1999 II S. 820; v. 9.5.2000 VIII R 41/99, BStBl 2000 II S. 686; H 17 (2) EStH „Gesamthandsvermögen“ 2. Spiegelstrich; ebenso Levedag, in Schmidt, EStG, 42. Aufl., § 17 Rz. 41.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.3.2006 IV B 2 - S 2242 - 7/06, BStBl 2006 I S. 253, Rz. 1.
- [ ↑ ]Horn, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO, § 39 Rz. 99.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.3.2006 IV B 2 - S 2242 - 7/06, BStBl 2006 I S. 253, Rz. 39.
- [ ↑ ]BMF, Schreiben v. 14.3.2006 IV B 2 - S 2242 - 7/06, BStBl 2006 I S. 253, Rz. 37.