- Gericht / Az:
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BFH, Urteil vom 18.1.2023 XI R 29/22 (XI R 16/18); Beschluss vom 26.1.2023 V R 20/22 (V R 40/19)
- Fundstelle:
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juris
- Gesetz:
- § 2 UStG
Lange erwartet wurden die Folgeentscheidungen des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft. Wir berichten über die zugrundeliegenden EuGH-Urteile ausführlich in BerP 4/2023 S. 250 ff. Die Vorträge BerP 4/2023 finden aktuell statt. Die Termine finden unsere Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft unter: https://www.neufang-akademie.de/termine
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Die relevanten Änderungen durch die BFH-Folgeurteile werden im Nachfolgenden dargestellt:
Neue Entwicklung in Bezug auf die finanzielle Eingliederung durch XI R 29/22 (XI R 16/18)
Bisherige Definition der finanziellen Eingliederung: 50 % plus x
Bisher wurde das Kriterium der finanziellen Eingliederung wie folgt definiert: Unter der finanziellen Eingliederung einer juristischen Person ist der Besitz der entscheidenden Anteilsmehrheit an der Organgesellschaft zu verstehen, die es dem Organträger ermöglicht, durch Mehrheitsbeschlüsse seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen (Eingliederung mit Durchgriffsrechten)1.
Neue Auswirkung: 50 % können reichen
Dieses Kriterium wird nun durch den XI. Senat des BFH aufgrund der dargestellten EuGH-Rechtsprechung fortentwickelt. Nach Auffassung des EuGH ist weder das „Erfordernis der Stimmenmehrheit“ noch das der „Mehrheitsbeteiligung“ als unbedingt erforderlich anzusehen. Dies gilt zumindest solange der Organträger in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern der Organschaft bzw. Mehrwertsteuergruppe durchzusetzen2. Bezogen auf die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Willensdurchsetzung folgt daraus, dass im Grundsatz an der bisherigen BFH-Rechtsprechung festzuhalten ist. Selbiges gilt im Hinblick auf das Weisungsrecht, das der Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsführung zusteht (§ 37 Abs. 1 GmbHG) und das nach Stimmrechten auszuüben ist (§ 47 Abs. 1 GmbHG). Gleichwohl erscheint es gerechtfertigt, unter Umständen eine Mehrheitsbeteiligung trotz Stimmrechten von nur 50 % als lediglich schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung anzusehen. Der Fall ist dies z. B., wenn sie durch eine Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen von Mehrheitsgesellschafter und GmbH und damit durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung3 ausgeglichen wird. Dann kann der Organträger seinen Willen bei der laufenden Geschäftsführung durchsetzen und mit Hilfe seiner Stimmrechte in Höhe von 50 % eine abweichende Weisung durch die Gesellschafterversammlung verhindern. Somit ist es ihm auch möglich, die Umsätze der Organgesellschaft ordnungsgemäß zu versteuern und den sich aus der wirtschaftlichen Tätigkeit der Organgesellschaft ergebenden sonstigen umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen4.
Praxishinweis
Was bedeutet das konkret?
Konkret bedeutet dies:
Grundsätzlich hält der XI. Senat jedoch - wenig überraschend - die Organschaft weiterhin für unionsrechtskonform. Die vom EuGH hierfür genannten Bedingungen (Willensdurchsetzung und keine Gefahr von Steuerausfällen) werden gewährleistet, weil der BFH schon bisher die Möglichkeit der Willensdurchsetzung verlangt und die Organgesellschaft nach § 73 AO für die Umsatzsteuer des Organträgers haftet.
Neue Vorlage zur endgültigen Klärung durch V R 20/22 (V R 40/19)
V. Senat strebt endgültige Klarheit an
Der V. Senat legt die o. g. Rechtssache erneut dem EuGH vor. Ziel der Vorlage ist die endgültige und unmissverständliche Klärung der Rechtsfrage, ob Umsätze innerhalb der Organschaft/Mehrwertsteuergruppe nicht steuerbar sind. Es handelt sich um bereits das zweite Vorabentscheidungsersuchen in dieser Sache, bei dem es nunmehr um eine Frage geht, die aufgrund der ersten Entscheidung des EuGH in diesem Verfahren zweifelhaft geworden ist5. Positiv daran ist, dass der BFH auch gleich die Klärung der Rechtsfrage anstrebt, ob steuerfreie Umsätze innerhalb des Organkreises dieses Ergebnis beeinflussen. Denn in der Praxis werden Organschaften zur Gestaltung vor allem bei solchen Unternehmen, die auch steuerfreie Umsätze erzielen (z. B. Banken, Kliniken), eingesetzt.
Konkret werden folgende Fragen vorgelegt:
Praxishinweis
Es ist zu begrüßen, dass der V. Senat des BFH hier eine unmissverständliche Klarstellung fordert. Dieser ist der EuGH bisher ausgewichen. Damit dienen die Vorlagefragen zu einer erstrebenswerten Befriedung der Rechtsunsicherheit.
Fußnoten anzeigen ↓
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 2.12.2015 V R 15/14, BStBl 2017 II S. 553; Abschn. 2.8 Abs. 5 UStAE.
- [ ↑ ]EuGH, Urteil v. 1.12.2022 C-141/20 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), juris, Rz. 69 f.
- [ ↑ ]BFH, Urteile 7.7.2011 V R 53/10, BStBl 2013 II S. 218, Rz. 24; v. 8.8.2013 V R 18/13, BStBl 2017 II S. 543, Rz. 26.
- [ ↑ ]BFH, Urteil v. 18.1.2023 XI R 29/22 (XI R 16/18), juris, Rz. 37 f.
- [ ↑ ]BFH, Pressemitteilung 019/23 v. 23.3.2023.