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Muss der 90 % - Test bei originär gewerblich tätigen Kapitalgesellschaften überhaupt an­ge­wen­det werden?

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Gericht / Az:
FG Münster, Urteil vom 24.11.2021 3 K 2174/19 Erb (Rev. ein­ge­legt, Az. BFH: II R 49/21)
Fundstelle:
EFG 2022 S. 343
Gesetz:
§ 13b ErbStG

90 % - Test als Einstiegshürde

Der sog. 90 % - Test nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG ist die erste Hürde auf dem Weg zu einer Begünstigung nach § 13a ErbStG beim Erwerb be­trieb­li­chen Vermögens. Als großes Problem in der Praxis stellt sich der Um­stand dar, dass nach dem Gesetzeswortlaut und der Ver­wal­tungs­auf­fas­sung1 keine Verrechnung mit betrieblichen Schulden erfolgt. Dies sei an folgendem Beispiel verdeutlicht:

Beispiel

Bei einer GmbH ergibt sich ein bewertungsrechtlicher Unternehmenswert i. H. von 500.000 €. Finanzmitteln i. H. von 2.500.000 € stehen zum Stichtag Schul­den i. H. von 3.000.000 € gegenüber. Obwohl die Netto-Finanzmittel (nach Ab­zug der Schul­den) 0 € betragen, liegen nach dem Gesetzeswortlaut die Brut­to-Finanzmittel im Verhältnis zum Unternehmenswert bei 500 %. Eine Be­günsti­gung nach § 13a ErbStG ist nicht möglich, denn das 90 % Quorum ist über­schrit­ten.

Branchenabhängig hoher For­de­rungs­bestand

Die Vorschrift des 90 % - Test führt insbesondere bei Vertriebs- und Dienst­leistungs­un­ter­nehmen, die naturgemäß hohe Forderungsbestände aus­weisen, re­gel­mäßig zu einer vollständigen Versagung der Begünstigung2.

Praxishinweis

In der Praxis wird aus diesem Grund paradoxerweise oftmals ein Be­wer­tungs­verfahren gewählt, aus dem sich ein möglichst hoher Un­ter­neh­mens­wert ergibt3.

FG Münster: Kein 90 % - Test, wenn keine Miss­brauchs­ge­fahr be­steht

Das FG Münster spricht sich im Falle einer Kapitalgesellschaft für eine te­le­ologi­sche Reduktion der Norm aus. Demnach ist der Einstiegstest nicht durchzuführen, wenn die betreffende Kapitalgesellschaft ihrem Hauptzweck nach eine Tätigkeit i. S. des § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG ausübt. Diese Auslegung würde die meisten Ka­pi­tal­ge­sell­schaften vom 90 % - Test befreien. Er wäre nur noch dann an­zu­wen­den, wenn eine Missbrauchsgefahr besteht, z. B. bei ver­mögens­ver­waltenden Gesellschaften.


Fußnoten anzeigen


  1.  ]R E 13b.10 Satz 4 ErbStR.
  2.  ]FG Münster, Urteil v. 24.11.2021 3 K 2174/19 Erb, EFG 2022 S. 343, Rz. 40.
  3.  ]Ausführlich zu weiteren Gestaltungsmöglichkeiten Glatz/Melzer, NWB 2020 S. 998.